Artenvielfalt: Insektenforscher: "Der Begriff 'Bienensterben' ist irreführend"

Das Bienensterben ist in aller Munde. Und immer mehr Imker*innen schicken sich an, die Honigbiene zu retten. Nicht nötig, winkt Insektenforscher Thomas Hörren ab. Die Honigbiene ist ein Nutztier – das der heimischen Artenvielfalt möglicherweise sogar schadet

GEO.de: Herr Hörren, was der Eisbär für die Klimabewegung ist, ist die Biene für die Biodiversität, Stichwort „Bienensterben“. Zu Recht?

Thomas Hörren: In meinen Augen nicht wirklich. Die ursprünglich heimische Biene, die Unterart Apis mellifera mellifera, ist in Deutschland ausgestorben. Und die Honigbiene Apis mellifera, die bei uns heute gezüchtet und für die Honiggewinnung genutzt wird, ist nichts anderes als ein Nutztier. Sie hat zwar den großen Vorteil, dass sie leicht gehalten werden kann, aber die Leute vergessen komplett, dass Bienenhaltung eine Tierwirtschaft ist. Das hat mit dem Leben von freilebenden Insekten nichts zu tun. Bei der Betrachtung von Biodiversitätsverlusten sollten wir aber über Wildtiere sprechen.

Ist es denn überhaupt sinnvoll, von „Bienensterben“ zu sprechen?

Der Begriff ist grundsätzlich irreführend. In Nordamerika gab es vor einigen Jahren bei den Honigbienen ein großes Völkersterben, die Imkerei brach lokal zusammen. Doch so etwas hatten wir in Europa nie. Die Honigbiene ist als Spezies bei uns nicht bedroht, auch wenn die Herausforderungen für die Imkerei immer größer werden. Zurzeit ist es besonders die Varroa-Milbe, die die Imkerei stark schwächt…

Aber bei den Wildbienen gibt es doch tatsächlich ein Sterben?

Die knapp 560 heimischen Arten, die teilweise seit der letzten Eiszeit bei uns leben, sind in unterschiedlicher Form eingestuft in der Roten Liste der gefährdeten Arten Deutschlands. Es gibt „ungefährdete“ ebenso wie „gefährdete“ und „vom Aussterben bedrohte“. Das ist aber bei anderen Tier- und Pflanzengruppen genau das Gleiche.

Hat die öffentliche Aufmerksamkeit für die Bienen, ob nun Honig- oder Wildbienen, nicht auch positive Effekte?

Der Zugang zum Thema Insektensterben, auch über ein Nutztier, kann förderlich sein. Man kann Bildungsaspekte unterbringen, die nichts mit dem Nutztier selbst zu tun haben. Das wird aber meist nicht gemacht. In der Regel wird der Begriff „Bienensterben“ instrumentalisiert. Es gibt wirklich unschöne Auswüchse in Form von Greenwashing. Dafür gibt es schon einen eigenen Begriff, das Beewashing: Unternehmen werben mit Slogans wie „Bienen retten!“, und die Menschen haben das Gefühl, sie tun etwas Gutes.

Tatsächlich ist das Augenwischerei und Geldmacherei mit dem guten Willen der Leute. Ich vergleiche das gerne mit anderen Nutztieren: Wenn ich im großen Stil Milchkühe züchte, tue ich ja auch nichts für die Artenvielfalt der heimischen Säugetiere.Verschwinden die Insekten bald für immer?

Das Imkern wird immer beliebter. Hat das eigentlich Konsequenzen für die wild lebenden Verwandten der Honigbiene?

Es gibt zumindest erste Hinweise darauf. Die Honigbiene ist ja ein großes Insekt, und ein Bienenstaat umfasst gut und gerne 30.000 bis 50.000 Bienen – die im Vergleich zu vielen anderen Insekten viel weniger auf bestimmte Blüten spezialisiert sind. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass es an einzelnen Standorten zu einer Konkurrenz mit Wildbienen kommt. Die Dichte der Wildbienen nahm also ab, sobald Honigbienen hinzukamen.

Als Biodiversitätsforscher gehe ich aber noch weiter: Es gibt bei uns über 3000 Insektenarten, die als Bestäuber von unterschiedlichen Pflanzen abhängig sind, die genaue Zahl kennt man gar nicht. Die Konkurrenz durch die Honigbiene betrifft alle diese Arten. Und das große Problem ist: Mir würde gar keine wissenschaftliche Fragestellung einfallen, mit der man die Negativeffekte der Imkerei untersuchen könnte. Denn wir kennen ja nicht mal die gesamte Insekten-Biodiversität an einem Standort.

Klar ist aber: Wenn jemand, zum Beispiel in einem relativ kleinen Naturschutzgebiet, fünf mal 50.000 Bienen aufstellt, dann hat das natürlich einen Einfluss auf dieses Ökosystem – auch wenn wir den nicht korrekt messen können. Und das Naturschutzgebiet ist eigentlich auch einfach nicht dafür da, um Profit daraus zu schlagen.

Sie haben 2017 mit einer Studie des Krefelder Entomologenvereins über den massiven Insektenverlust in deutschen Naturschutzgebieten für Furore gesorgt. Hatte das umweltpolitisch eigentlich Konsequenzen?

Das Medieninteresse war groß, wenn auch vor allem im Ausland. Und es hatte zur Folge, dass der Begriff „Insektensterben“ geprägt wurde, von dem die meisten Menschen heute zumindest schon mal gehört haben. Auf politischer Ebene wurde das Insektenschutzprogramm ins Leben gerufen, im vergangenen Jahr wurde das Insektenschutzpaket verabschiedet.

Am eigentlichen Problem hat sich allerdings nichts geändert. Denn Blühstreifen in der Landwirtschaft oder Maßnahmen in städtischen Bereichen haben keine Auswirkungen auf das, was in Schutzgebieten passiert. Also genau da, wo wir die dramatischen Veränderungen gemessen haben.

Was müsste denn passieren?

Zunächst einmal müsste die Rote Liste erweitert werden um die restlichen, noch nicht eingestuften Arten. Wir haben aktuell nicht einmal 40 Prozent der etwa 34.000 Insektenarten Deutschlands in irgendeiner Form eingestuft. Von den meisten Arten wissen wir also überhaupt nicht, wie es ihnen geht.

Zweitens muss der Naturschutz hinsichtlich des lokalen Biodiversitätsschutzes oberste Priorität bekommen. Das ist aktuell nicht der Fall. In den Schutzgebieten droht der größte Verlust an Biodiversität, die sich hier teilweise im Verlauf von Jahrtausenden in einer Kulturlandschaft eingestellt hat.

Trotzdem wird auch in Naturschutzgebieten konventionelle Landwirtschaft mit Dünger und Pestiziden betrieben. Das entspricht nicht dem Zweck eines Schutzgebietes. Es fehlt auch eine fachliche Beurteilung dieser Landnutzung mit Blick auf die lokale Biodiversität, und bei den eingesetzten Pflanzenschutzmitteln herrscht eine komplette Intransparenz.

Das insektenfreundliche Gärtnern liegt im Trend. Welchen Beitrag können (Balkon-)Gärtner*innen leisten?

Das ist etwas, das die eben angesprochenen Problemfelder gar nicht adressiert. Aber selbst Dinge, die auf die Biodiversität keinen messbaren Effekt haben, sind wichtig, weil sie zur Bewusstseinsbildung beitragen. Die Wahrnehmung hat sich in vergangenen Jahren schon stark verändert, man sieht das zum Beispiel auch an der Kritik an Schottergärten oder Plastikrasen. Und grundsätzlich können natürlich auch naturnahe Gärten Trittsteine für seltene Arten sein, die sich durch die Landschaft bewegen.

Nachrichtenquelle: geo.de

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