Der schöne Schein: Halo-Effekt: Wie der erste Eindruck unser Denken manipulieren kann

Studien zeigen, wie schnell uns unsere Wahrnehmung dazu verleitet, beim ersten Eindruck blitzschnell auf Schubladendenken zurückgreifen. Der „Halo-Effekt“ beschreibt das Phänomen, von oberflächlichen Merkmalen auf die Persönlichkeit und Kompetenz anderer Menschen zu schließen. Davon kann man sich loslösen – aber einfach ist das nicht

Heiligenschein, Glorifizierung, rosarote Brille – die Wirkung des Halo-Effektes ist vielfältig, aber doch immer gleich: Das Gehirn bewertet den positiven ersten Eindruck eines Menschen übermäßig gut und blendet dabei negative Punkte aus – allein schon, um einer Signalüberlastung vorzubeugen. Finden wir beispielsweise eine Person besonders attraktiv, setzen wir dieser einen Heiligenschein auf und ordnen ihr ausschließlich positive Charakterzüge zu.

Dieser unbewusste Mechanismus kann später weitreichende Folgen haben. Denn das intuitive Gefühl, das wir beim ersten Blick entwickeln, kann uns leicht täuschen. Die gute Nachricht lautet aber: der Halo-Effekt kann mit gezieltem Verhalten ausgehebelt werden!

Der Halo-Effekt verfälscht die Wahrnehmung

Die Formulierung „Wie war Dein erster Eindruck?“ spricht Bände. Wen auch immer wir kennenlernen, wer den Raum betritt oder sich in neuer Runde vorstellt, wird in Sekundenschnelle von uns unter die Lupe genommen, charakterisiert und eingeordnet. Das Fatale daran: Unser Gehirn macht es sich möglichst einfach, sucht sich sozusagen die Rosinen des Eindrucks-Kuchens hrraus und lässt sich somit blenden.

„Halo-Effekt“ wird dieses Verhaltensmuster in der Psychologie genannt, abgeleitet vom englischen Wort „Halo“ für Heiligenschein. Die Person bekommt in unserer Wahrnehmung praktisch erst einmal einen Freifahrtsschein in der eigenen Gunst. Allerdings ist das abhängig von den oberflächlich wahrgenommenen Parametern wie Aussehen, Stimme oder auch Benehmen. Im Ergebnis werden diesen Menschen von unserem Gehirn automatisch Eigenschaften zugeordnet, von denen wir objektiv gar nicht wissen, ob sie überhaupt vorhanden sind.

Edward Lee Thorndike untersucht Halo-Effekt erstmals

Erstmals beobachtet wurde der Effekt vom Psychologen Frederic L. Wells im Jahr 1907. Aufgegriffen, wissenschaftlich untersucht und benannt hat dieses Mysterium der Wahrnehmung dann 1920 der US-amerikanische Psychologe Edward Lee Thorndike. Er ließ im ersten Weltkrieg verschiedene Offiziere ihre Soldaten beurteilen. Bewertet wurden unter anderem Eigenschaften und Fähigkeiten wie

  • Intelligenz
  • Charakter
  • Kondition
  • physische Leistungsfähigkeit
  • Führungsqualitäten
  • zielgenaues Schießen
  • Musikalität

Das Ergebnis: Die meisten Soldaten wurden von ihren Vorgesetzten entweder überdurchschnittlich gut in allen Punkten bewertet oder im extremen Gegenteil unterdurchschnittlich schlecht. Thorndike suchte nach dem Grund für diese Extrem-Beurteilung und kam zu einem erstaunlichen Resultat.

Halo-Effekt überstrahlt negative Eigenschaften

Gutaussehenden Soldaten trauten die Offiziere mehr Führungskompetenz oder Treffsicherheit beim Schießen und sogar Musikalität zu und schlechter aussehenden Soldaten weniger. Edward Thorndike schloss daraus, dass positive Merkmale wie Attraktivität, Körperhaltung, Humor oder adäquates Verhalten in ihrer unbewussten Wirkung die vorhandenen schlechten Eigenschaften von Menschen in der Wahrnehmung schlichtweg überstrahlen: der Halo-Effekt.

Das Gefühl für die richtige Entscheidung

Dass sich der Halo-Effekt auch heute in allen Teilen des täglichen Leben und der Gesellschaft wiederfindet, zeigt sich an verschiedenen Beispielen. Dicke Menschen werden oft automatisch als bequem eingestuft, Brillenträger werden oftmals als intelligent angesehen und gut aussehenden Menschen wird nicht nur mehr Erfolg zugetraut. Sie sind tatsächlich oft auch erfolgreicher, weil sich andere und mehr Türen für sie öffnen. Bekannt ist dieses Phänomen als „Schönheitsprämie“, das oft aber nichts mit den wirklich vorhandenen Kompetenzen zu tun hat.

Objektiv beurteilen in Bewerbungsgesprächen

Besonders bei Bewerbungsgesprächen und oder Beurteilungen innerhalb von Unternehmen kommt der Halo-Effekt zum Tragen. Die möglichen Folgen:

  • Missverständnisse durch vorschnelle Meinungsbildung
  • Oberflächliche und dadurch unfaire Leistungsbeurteilungen
  • Beförderungen nach falschen Kriterien
  • Offene Stellen werden falsch besetzt
  • Mitarbeiterfluktuation steigt

In Konzernen und bei Behörden wird deshalb zunehmend auf den Halo-Effekt geachtet. Bewerbungen werden anonym gehalten, damit Fotos oder Angaben zu Alter und Geschlecht keinen Einfluss auf Entscheidungen haben, sondern nur die Qualifikation. Auch werden Führungskräfte entsprechend geschult, um das eigene Gehirn gezielt auszutricksen und Situationen möglichst objektiv zu beurteilen.

Positive Wahrnehmung einer Person überwiegt

Dass das nicht immer gelingt, zeigen die Werbung und das Marketing für Produkte oder Dienstleistungen. Die eingesetzten und gezeigten Menschen entsprechen dem Idealbild der Person, die mit diesem positiven Lebensstil verknüpft ist. Die Wahrnehmung konzentriert sich auf dieses Merkmal und nimmt vorhandene negative Punkte nicht wahr – wie zum Beispiel in der Modeindustrie. Wird das Kleidungsstück von einer ansprechenden Person im attraktiven Umfeld getragen, blendet das Gehirn mögliche negative Faktoren aus wie

  • Produktionskosten im Verhältnis zum Verkaufspreis
  • Produktionsorte und Arbeitsumstände
  • Qualität der Ware in Bezug auf verwendete Materialien
  • Mögliche Nutzungszeit bei offensichtlich beschädigter Ware – wie eingerissenen Jeanshosen

Die positive Identifikation mit der Person und dem Produkt führt zu einer subjektiven Beurteilung der Situation. Gleiches geschieht bei der Wahrnehmung von Schauspielerinnen und Schauspielern aus der Filmindustrie. Sowohl Gesichter, Image, Selbstdarstellung als auch Namen entsprechen einer Idealvorstellung von einem positiven Leben: „Der hat es geschafft.“

Dunning-Kruger-Effekt: Weshalb inkompetente Menschen oft das größte Selbstbewusstsein haben (23942)

Die objektive Frage wäre: „Was genau?“ Die subjektive Wahrnehmung hingegen – auch bedingt durch mediale Darstellung – ist der Eindruck eines reichen, heldenhaften, gesunden, fröhlichen, selbstbestimmten Lebens ohne Alltagsprobleme im Dauerlicht einer beständig scheinenden Erfolgssonne. Stellen Sie sich George Clooney mit schlecht sitzender Frisur, zerknittertem Anzug, gelben Zähnen, Segelohren und übergewichtig vor. Beim ersten Eindruck würde automatisch eine andere Einschätzung seiner Fähigkeiten und seines Lebens erfolgen – die aber nur äußerlich bedingt ist.

Der Halo-Effekt ist eine rosarote Brille, durch die auch frisch Verliebte blicken. Wird der Traumpartner oder die Traumpartnerin gefunden und die äußeren Parameter stimmen, werden negative Merkmale zunächst vom Gehirn ausgeblendet. Die Wahrnehmung, Einordnung und Bewertung der einzelnen Eindrücke wäre auch viel zu viel. Beim Sehen ist es ähnlich. Ein wesentlicher Teil der Umwelteindrücke wird schon beim Weg über die Augen zum Gehirn ausgefiltert, in wichtig und unwichtig eingeteilt, damit unsere Kopfzentrale nicht überlastet wird und durchbrennt.

Psychologie sieht Heiligenschein in Beziehungen verblassen

Verblasst nun der Heiligenschein rund um den Traumpartner oder die Traumpartnerin mit der Zeit, kommen auch die negativen Eigenschaften stärker durch und werden vom Gehirn wahrgenommen. Die Beziehungspsychologie spricht in dem Zusammenhang auch vom ersten „goldenen Halbjahr“.

Nach etwa sechs Monaten tritt der Halo-Effekt zugunsten einer objektiveren Wahrnehmung zurück. Oft trennen sich Paare exakt nach dem Zeitraum oder bleiben danach längerfristig zusammen – wenn die negativen Eigenschaften als tragbar eingestuft werden.

EFFEKTE-Quiz

Jedes Merkmal in die Wahrnehmung miteinbeziehen

Was aber können Sie nun tun, um den Halo-Effekt zu umgehen und zu einem objektiveren Bild von Menschen zu kommen – sowohl privat als auch beruflich? Dafür gibt es einen einfachen Trick. Auch wenn das Anwenden nicht ganz so einfach ist, denn schließlich müssen Sie Ihr eigenes Gehirn und das uralte Erbe unserer Evolution austricksen.

  • Beurteilen Sie einen Menschen nicht nach dem ersten Eindruck, sondern nach einzelnen Merkmalen.
  • Dadurch sensibilisieren Sie ihre eigene Wahrnehmung .
  • Ordnen Sie die ersten vorhandenen und gegebenen Informationen nicht als die Wichtigsten und Grundlegenden ein – auch was Auftreten, Persönlichkeit und Selbstdarstellung betrifft. Jeder ist bemüht, einen möglichst guten Eindruck zu machen.
  • Hinterfragen Sie ihre persönliche Wahrnehmung durch stärkere Selbstreflexion.
  • Beziehen Sie andere Menschen und deren Wahrnehmung in Ihre Beurteilung und Entscheidung mit ein.

Der Halo-Effekt lässt sich nicht komplett ausschalten

Trotzdem ist und bleibt der Halo-Effekt ein Teil des Alltags, weil er Teil des Menschen ist. Markenprodukte schmecken besser als No-Name-Produkte. Rot gekleidete Menschen wirken dominant. Gut aussehende Kellnerinnen und Kellner bekommen mehr Trinkgeld und Menschen im Anzug oder Business-Kostüm scheinen erfolgreich und kompetent.

Um alles das in einem anderen Licht zu sehen, hilft ein englisches Sprichwort: „Never judge a book by its cover – beurteile ein Buch niemals nur nach seinem Umschlag“.

Nachrichtenquelle: geo.de

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