Pandemie: Corona-Risikopatientin: "Für mich ist seit zwei Jahren Lockdown"

Während in der Politik über baldige Lockerungen diskutiert wird und die Normalität zum Greifen nah scheint, wird sich für Britta Bauchmüller die Lage nicht so bald entspannen: Die junge Frau gehört zur Gruppe der Risikopatientinnen. Für sie wäre eine Infektion mit Sars-CoV-2 weiterhin lebensbedrohlich

Lockdown und strikte Corona-Regeln: Das war einmal. In vielen europäischen Ländern gibt es keine harten Einschränkungen mehr und in Deutschland wird beim Bund-Länder-Gipfel aktuell (Mittwoch, 16.2.2022) über baldige Lockerungen verhandelt. Der Stillstand scheint vorbei. Es wird sogar über ein Ende der Pandemie gesprochen, doch für die 32-jährige Journalistin Britta Bauchmüller steht die Welt weiter still. Für sie ist ein Ende der Pandemie noch lange nicht in Sicht. Eine Infektion mit Sars-CoV-2 wäre für sie lebensbedrohlich.

Die junge Frau hat eine angeborene Nierenkrankheit und Bluthochdruck seit der Kindheit. Mit 28 Jahren hatte sie einen Schlaganfall, hat seitdem eine Sehstörung und ist gehbehindert. Mit 29 Jahren dann eine Nierentransplantation. Damit das Spenderorgan nicht abgestoßen wird, muss sie starke Tabletten nehmen, die das Immunsystem unterdrücken. Ihr geschwächtes Immunsystem könnte sich kaum gegen eine Covid-19-Infektion wehren. Auch die Impfung gegen das Coronavirus schützt sie wenig. Obwohl sie bereits vier Impfungen bekommen hat, hat ihr Körper keine Antikörper gebildet.

Ihr Immunsystem reagiert nicht so auf die Impfung, wie es sollte: Normalerweise gaukelt die Corona-Impfung dem Körper eine Infektion mit dem Virus vor, wodurch das Immunsystem Antikörper bildet und sich die T-Zellen den Bauplan des Virus merken, um bei einer künftigen Infektion besser reagieren zu können. „Bei gesunden Menschen tritt eine ganze funktionierende Armee von Zellen dem Virus entgegen, das versucht, in den Körper einzudringen. Bei immungeschwächten Menschen besteht die Armee aus Soldaten, die viel älter und nicht so stark sind oder nicht genug zu essen bekommen haben – deswegen ist das Immunsystem bei Immungeschwächten weniger leistungsfähig. Es kann also nicht so gut reagieren“, erklärt die Infektiologin Prof. Clara Lehmann. Sie ist Leiterin des Infektionsschutzzentrums (ISZ) und der Infektions-Ambulanz an der Uniklinik Köln.

Corona-Krise: Ein Leben in Isolation

Kein Impfschutz, keine Freiheit, keine Unbeschwertheit. Seit die Weltgesundheitsorganisation Anfang März 2020 Corona zu einer weltweiten Pandemie erklärt hat, ist Britta Bauchmüllers Welt klein geworden. Die einzigen Menschen, die sie noch regelmäßig sieht, sind ihre Eltern, der Postbote, ihre Nachbar*innen und ihre Haushaltshilfe. Die meiste Zeit beschränkt sich ihre Welt auf ihre Einzimmerwohnung in Köln. Hier lebt und arbeitet sie. Es ist ihre einzige Möglichkeit, die Ansteckungsgefahr so gering wie möglich zu halten.

„3G, 2G, 2Gplus, Lockdown oder nicht, Ausgangssperre, Lockerungen – das bekomme ich mit, es ändert aber nichts an der Weise, wie ich seit Beginn der Corona-Pandemie lebe.“ Die Jahreszeiten sind stattdessen Taktgeber für Britta Bauchmüllers Leben in der Pandemie. Werden die Tage grauer, wird es auch ihr Alltag. „Insgesamt ging es mir in der Corona-Krise – wie wahrscheinlich allen Menschen – im Frühling und Sommer besser, aber die Winter waren wirklich hart. Im Sommer konnte ich viel spazieren gehen, da kam ich klar und konnte mich ablenken.“

Wie viele Menschen genau wie die junge Kölnerin immungeschwächt sind und keinen effektiven Impfschutz gebildet haben, ist schwer zu sagen. Laut Robert Koch-Institut betrifft das aber einen hohen Anteil an Personen bei Organtransplantierten, Stammzellenpatientinnen, Krebspatienten und Patientinnen mit einer B-Zell-Antikörpertherapie, die nach einer Corona-Impfung keine Antikörper gebildet haben.

Clara Lehmann
Prof. Clara Lehmann ist Infektiologin an der Uniklinik Köln
© MedizinFoto

Doch ein negativer Antikörpertest sei nicht direkt gleichbedeutend mit gar keinem Impfschutz, „Unser Immunsystem hat, vereinfacht dargestellt, zwei Achsen: die B-Zellen und die T-Zellen. Sie sind die wichtigste Gruppe unter den Immunzellen. Die B-Zellen vermitteln die sogenannte humorale Immunantwort, indem sie als Plasmazellen Antikörper in großen Mengen produzieren. Daneben gibt es die T-Zellen, die für die zelluläre Immunantwort verantwortlich sind und die Informationen über Viren noch jahrzehntelang speichern können. Über Botenstoffe kommunizieren die Zellen der beiden Achsen miteinander und lösen so eine optimale Immunantwort aus.“

Sind keine Antikörper vorhanden, könne es zum Beispiel trotzdem sein, dass durch die T-Zellen eine Teilimmunität erreicht wird. Bei einer transplantierten Person, die nach einer Corona-Impfung keine Antikörper gebildet hat, kann man aber davon ausgehen, dass nur ein sehr geringer Immunschutz besteht, sagt Lehmann. Der Grund: „Transplantationspatienten bekommen Medikamente, die die Immunantwort abschwächen. Das betrifft nicht nur die B-Zellen, sondern auch die T-Zellen. Diese Medikamente können Transplantierte nicht absetzen, weil sie nötig sind, damit das Spenderorgan nicht vom Immunsystem angegriffen und abgestoßen wird. Durch das geschwächte Immunsystem haben transplantierte Patienten ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Infektion.“

Die Pandemie hat die junge Kölnerin ausgebremst

Seit etwa 730 Tagen lebt Britta Bauchmüller mit der Angst vor dem Virus. „Ich höre häufiger, dass ich zu viel Angst habe oder paranoid bin. Doch für mich wäre eine Infektion mit Sars-CoV-2 akut lebensbedrohlich. Zum einen sind da die neurologischen Auswirkungen von Covid-19, und häufig greift das Virus bei schweren Verläufen auch die Nieren an. Ich habe nur noch eine funktionierende Niere – und das ist die Spenderniere.“

Die Pandemie hat die junge Frau in einer besonderen Situation ihres Lebens getroffen: Nach der Nierentransplantation und dem Schlaganfall ging es ihr gerade gesundheitlich besser, sie konnte wieder allein wohnen, in der Redaktion arbeiten, traf dort ihre Kolleginnen, fuhr mit der Bahn zur Arbeit, traf wieder Freunde, ging regelmäßig zur Ergo- und Physiotherapie.

Freunde in der Pandemie

Die Pandemie hat sie ausgebremst: Eine Augen-OP ist auf unbestimmte Zeit verschoben, nicht lebensnotwendige Arzttermine abgesagt, die wöchentliche Ergo- und Physiotherapie liegt auf Eis, eine geplante Reha für die junge Frau in der Pandemie undenkbar. „Eigentlich war ich körperlich zu Anfang der Pandemie in einer Phase, in der ich noch viele Fortschritte hätte machen können, das habe ich jetzt eben nicht gemacht.“

Dass sie zwei Jahre weitgehend isoliert gelebt hat, sei nicht spurlos an ihr vorbeigezogen: „Ich merke es an meinen sozialen Kompetenzen, ich bin einfach keine Menschen mehr gewöhnt. Ich habe Angst davor, wie das wird, wenn es wieder normal wird. Körperlich bin ich froh, wenn ich mein Niveau halten kann.“

Trotzdem ist Britta Bauchmüller mit der Situation klargekommen, hat sich abgelenkt. Sich damit arrangiert. Sie hat sich über neue wissenschaftliche Entwicklungen rund um Sars-CoV-2 informiert, gehofft, dass die Impfung sie doch schützen könnte, gehofft, dass genügend Mitmenschen sich impfen lassen, gehofft, dass die Fallzahlen in Deutschland niedrig bleiben.

Doch mit der Omikron-Variante, die sich ihren Weg durch die Gesellschaft bahnt und seit Pandemiebeginn zu noch nie dagewesene 7-Tage-Inzidenzen in Deutschland geführt hat, habe sich bei ihr ein Schalter umgelegt, berichtet Britta Bauchmüller. „Ich habe aufgehört, mich damit zu beschäftigen und verfolge den politischen Diskurs kaum noch. Ich habe resigniert und lenke mich viel ab. Die Situation aktuell fühlt sich wie aktive Durchseuchung an für mich. Die wenigen Dinge, die ich noch mache, werden gefährlicher, wenn die Zahlen so hoch sind. Die mathematische Wahrscheinlichkeit sich anzustecken, wächst einfach.“ Manche Arzttermine zum Beispiel kann die Kölnerin nicht absagen, es müssen regelmäßig die Nierenfunktion und die Einstellung der Medikamente überprüft werden. „Jedes Mal, wenn ich einen Arzttermin habe, habe ich Angst, dass ich mich mit Covid-19 anstecke. Angst vor dem Wartezimmer, auch wenn die Arztpraxen alle Vorkehrungen treffen.“

Herdenimmunität und Medikamente könnten Immungeschwächten helfen

In weitere Impfungen setzt sie keine Hoffnung mehr, auch ihre Ärztin rät davon ab. Immungeschwächte immer weiter zu impfen, sei aus biologischer Sicht nicht sinnvoll, weil ein Immunsystem, das nicht in der Lage ist zu antworten, auch beim x-ten Versuch nicht reagieren wird, weiß Clara Lehmann. Die Erfahrung zeige aber, dass es sinnvoll sein kann – wie von der Ständigen Impfkommission empfohlen – Immunschwache dreimal zügig hintereinander zu impfen, um einen guten Impfschutz zu erhalten.

Auch ein neuer Impfstoff wird für immungeschwächte Menschen wahrscheinlich keinen Unterschied machen: Der Impfstoff Novavax beruht auf einer anderen Technik als die mRNA-Impfstoffe. Es werden virusähnliche Partikel, die schon fertig gebaut wurden, verimpft. Dieses Verfahren gibt es schon lange, es ist gut erprobt. Das ist der einzige Unterschied zu mRNA-Impfstoffen. „Doch bei Immungeschwächten, die durch mRNA- oder Vektorimpfstoffe keine ausreichende Immunantwort gebildet haben, wird diese sehr wahrscheinlich auch bei dem Impfstoff von Novavax ausbleiben. Das Problem liegt in der Immunschwäche und nicht in der Wahl des Impfstoffes.“

DasGottesw erkzeug

Während Britta Bauchmüller weiter in einer Art Dauer-Lockdown lebt, werden in der Politik die Stimmen nach baldigen Lockerungen lauter. Ein Versprechen von Normalität. Eine Hoffnung, die Britta Bauchmüller nicht hat. Sie habe neulich im NDR-Podcast die Virologin Sandra Ciesek sagen hören, dass Immungeschwächte und unter 5-Jährige die wahren Verlierer*innen der Pandemie seien, weil eine Impfung sie nicht schützt beziehungsweise sie nicht geimpft werden können. „Für uns ist kein Ende in Sicht – wir sind komplett darauf angewiesen, dass sich genügend Menschen impfen lassen. Ich habe es selbst gar nicht mehr in der Hand.“

Doch eine Hilfe im Fall einer Infektion gibt es für Britta Bauchmüller inzwischen. Mit ihrer Ärztin hat sie vereinbart, dass sie mit Antikörpern behandelt werden kann, um sie vor einem schweren Verlauf zu schützen. Für Immungeschwächte gibt es mehrere Behandlungsmöglichkeiten: Mittlerweile gibt es Substanzen, die bei der Behandlung von Immungeschwächten, die sich mit Sars-CoV-2 infiziert haben, eingesetzt werden können. Es gibt Antikörper, die im Labor hergestellt werden – diese können bei einer ganz frischen Infektion bei Patienten, die selbst keine Antikörper gebildet haben, verabreicht werden. „Seit kurzem steht uns Sotrovimab zur Verfügung, welches wir immungeschwächten Patienten geben. Das Medikament neutralisiert das Virus und sorgt dafür, dass die Patienten keinen schweren Verlauf von Covid-19 bekommen. Sotrovimab kann bei Immungeschwächten wahrscheinlich auch vorbeugend eingesetzt werden – dafür hat es allerdings noch keine Zulassung.

Künftig wird es auch weitere Antikörpertherapien geben, die zur Prophylaxe eingesetzt werden können“, sagt Lehmann. Die Medikamente Remdesivir, Molnupiravir und Paxlovid haben eine direkte antivirale Wirkung. „Bei all diesen Medikamenten gilt es, dass die Behandlung innerhalb von sieben Tage nach Symptombeginn angefangen werden muss. Das ist die Phase, wo im Körper eine Virusvermehrung stattfindet, in der zweiten Woche mit Symptomen beginnt die Entzündungsphase – zu diesem Zeitpunkt können die Medikamente nicht mehr wirken“, erklärt die Infektiologin.

Nachrichtenquelle: geo.de

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