Psychologinnen im Gespräch: Warum wir Hoffnung brauchen: Über den gesunden Umgang mit der Klimakrise

Die Konferenz von Glasgow geht zu Ende, nicht alle Erwartungen wurden erfüllt, manche Hoffnungen enttäuscht. Wir sprachen mit den Psychologinnen Myriam Bechtoldt und Lena Müller über das Hoffen in den Zeiten der Klimakrise

GEO.de: Frau Bechtoldt, Frau Müller, haben Sie Hoffnung, dass die Konferenz in Glasgow eine Erderwärmung um mehr als 1,5 Grad Celsius verhindern kann?

Lena Müller: Ehrlich gesagt: Die Hoffnung nur an dieses eine Ereignis zu knüpfen, das würde mich hoffnungslos machen. Ich schaue gespannt zu, und man hört ja auch von einigermaßen positiven Beschlüssen. Allerdings hoffe ich nicht nur auf die Vertreter*innen der verschiedenen Staaten, sondern auch weiterhin auf die Zivilgesellschaft.

Myriam Bechtoldt: Ich denke, dieses Ziel ist vergleichbar mit einem Marathon. Das ist ein Langstreckenlauf, und ob wir das Ziel erreichen, entscheidet sich nicht nur punktuell an Großereignissen wie COP26. Ich glaube allerdings, dass solche Konferenzen unbedingt notwendig sind, um das Bewusstsein für die Klimakrise in der Öffentlichkeit zu schärfen und aufrechtzuerhalten.

GEO.de: Stand heute ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass das 1,5-Grad-Limit eingehalten werden kann …

LM: Ohne Hoffnung gibt es keine Grenzüberschreitung, kein Ermöglichen des zu diesem Zeitpunkt scheinbar Unmöglichen. Mit der Hoffnung kann ich Energie aktivieren und auch scheinbar unmögliche Ziele verfolgen. Václav Havel sagte einmal: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht – egal, wie es ausgeht.“ Und es macht doch Sinn, gegen eine Menschheitskrise aktiv zu sein.

MB: Ich denke, man muss unterscheiden zwischen Hoffnung und Werten. Das klingt auch in dem Havel-Zitat an. Ich tue Dinge nicht nur, weil ich überzeugt bin, dass ich sie erreichen kann, sondern ich tue Dinge auch, weil ich überzeugt bin, dass sie richtig sind. Wenn wir ehrlich sind, wissen wir nicht, ob wir das 1,5-Grad-Limit einhalten können. Und weil es letztlich nicht sicher ist, müssen wir alles tun, um unsere Hoffnung am Leben zu erhalten, dass es gelingen kann.

GEO.de: Warum ist Hoffnung überhaupt so wichtig für uns?

MB: Hoffnung wird diskutiert seit der Antike. Im altgriechischen Mythos ist es Prometheus, der das Feuer stiehlt und den Menschen bringt. Zeus bestraft dafür die Menschen, indem er ihnen Pandora mit ihrer berühmten Büchse schickt. Sie darf die Büchse nicht öffnen, tut es aber natürlich doch, und so kommen alle Übel in die Welt, die wir kennen: Krankheit, Angst, Tod. Zurück blieb nur die Hoffnung. Diese Vorstellung, dass es etwas gibt, was uns mit dem ganzen Drama, mit denen wir es als Menschen zu tun haben, überleben lässt oder durchhalten lässt, begleitet uns seit der Antike. Wir brauchen Hoffnung, ohne sie können wir eigentlich gar keine Herausforderungen angehen.

GEO.de: Gibt es denn auch trügerische Hoffnungen?

LM: Die schwedische Psychologin Maria Ojala spricht von einer „Hoffnung durch Leugnung“. Gemeint ist damit die Hoffnung, dass alles irgendwie gut ausgehen wird, ohne dass ich mich bewegen muss – also eine Art passive Hoffnung: Ich hoffe, dass alles gut ist, wie es ist, und dass es in Zukunft auch gut sein wird. Zum Beispiel, weil ich Angst habe vor den Verlusten im Zusammenhang mit dem Handeln gegen die Klimakrise.

MB: Ein typisches Beispiel dafür Technikgläubigkeit. Die Wissenschaftler werden schon irgendwas finden, technischer Fortschritt ist die Lösung. Wir müssen unsere Lebensgewohnheiten nicht ändern, wir warten einfach, bis es möglich ist, der Atmosphäre im großen Stil CO2 zu entziehen. Das ist aber für mich keine Hoffnung, so wie sie in der Psychologie diskutiert wird. Wenn ich hoffnungsvoll bin, habe ich persönlich ein Ziel, und ich denke auch über Wege nach, wie ich dieses Ziel erreichen kann. Hoffnung in diesem Sinn ist immer positiv.

LM: Natürlich gibt es auch Hoffnungen, für die es einfach zu spät ist, zum Beispiel, dass wir die Erderwärmung aufhalten können. Wir wissen, dass der Erwärmungstrend noch eine ganze Weile anhalten wird, selbst wenn wir sofort alle Emissionen stoppen …

MB: … Und bestimmte Entwicklungen sind nicht mehr umkehrbar. Der Verlust der Fauna, das Abschmelzen der Pole, der Anstieg des Meeresspiegels.

GEO.de: Die Klimabewegung selbst pflegt das Narrativ, bei 1,5 Grad gehe es um „alles oder nichts“, um „Normalität oder Apokalypse“. Ist das für Sie ein sinnvoller Umgang mit Erwartungen und Hoffnung in der Klimakrise?

LM: Das Limit hat seine Berechtigung, weil es laut dem IPCC das Szenario wäre, in dem das Erreichen der Kipppunkte im Klimasystem bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zugfolge relativ verlässlich vermieden werden könnte. Daher die große gesellschaftliche Erwartungshaltung. Und irgendwoher muss der Druck ja auch kommen.

MB: Prinzipiell ist es nicht sinnvoll, von „alles oder nichts“ zu sprechen, und es ist auch nicht realistisch. Auch in 50 oder 100 Jahren werden Menschen auf diesem Planeten leben, und sie werden sich in irgendeiner Weise zu den Lebensbedingungen, die dann vorherrschen, verhalten müssen. Neben der Vermeidung des Klimawandels wird es immer auch Anpassung geben. Das ist ein kontinuierlicher Prozess, der verlangt, dass man sich der Realität stellt. Es muss also auch eine offene und transparente Diskussion darüber geben, wie wir uns anpassen, und wie es gelingt, mit dem Verlust, der schon da ist, umzugehen.

GEO: Klimaziele und -folgen wirken oft abstrakt, die Ursachen sind komplex. Woher können wir als Einzelne wissen, worauf zu hoffen, wofür zu streiten sich lohnt?

MB: Es ist eine große Gefahr in dieser ganzen Diskussion, dass man sich allein vollkommen hilflos und überwältigt fühlt. Da entsteht relativ schnell ein Ohnmachtsgefühl, das mich letztlich lähmt und völlig inaktiv bleiben lässt. Darum empfehlen wir Psychologists/Psychotherapists for Future immer wieder: Wir müssen die Vereinzelung überwinden. Suchen Sie sich Verbündete, schließen Sie sich einer Gruppe an! Denn als Gruppe sind wir stark. Es geht darum, zivilgesellschaftlichen Druck aufzubauen, damit Regierungen Maßnahmen ergreifen, die im großen Maßstab wirksam sind.

LM: Sowohl in jedem individuellen Leben als auch im Verlauf der Klimakrise sind schon Hoffnungen zerstört worden. Diese Ent-Täuschung ist eine manchmal bittere Konfrontation mit der realen Welt. Sie hilft Individuen jedoch, die Realität wieder besser einzuschätzen und so Erwartungen und Hoffnungen nachschärfen zu können. Dies kann zu angepassten und dafür stabileren Hoffnungen führen. Und dazu, nach dieser Erschütterung wieder hoffnungsvoll für das Gelingen einer Sache zu arbeiten – zum Beispiel, dem 1,5-Grad-Ziel so nah wie nur möglich zu kommen.

Nachrichtenquelle: geo.de

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