Studie: Rätsel um Krill-Paradox gelöst: Wale beeinflussen das Ökosystem der Ozeane stärker als gedacht

Der Walfang hat im 20. Jahrhundert die Zahl der Wale drastisch dezimiert. Eine Studie zeigt, welche unerwarteten Folgen das für die Meere bis heute hat – und löst damit ein scheinbares Paradox auf

Die ökologische Bedeutung von Walen für die Ozeane wird offenbar drastisch unterschätzt. Eine internationale Studie zeigt, dass Bartenwale wesentlich mehr Nahrung vertilgen als bislang angenommen – teilweise sogar das Dreifache. Ihre Fäkalien düngen demnach das Wasser nahe der Oberfläche mit großen Mengen Eisen, was wiederum die Menge an Phytoplankton drastisch steigert. Das wirke sich auf die Nahrungskette der Ozeane aus und könne auch den Klimawandel dämpfen, schreibt das Team um Matthew Savoca von der kalifornischen Stanford University im Fachblatt „Nature“.

Zu den Bartenwalen (Mysticeti) zählt unter anderem der Blauwal: mit Längen von mehr als 33 Metern und einem Gewicht bis 180 Tonnen das größte Tier, das jemals auf der Erde existiert hat. Mit ihren Barten filtern die Wale aus dem Meerwasser gewaltige Mengen kleiner Tiere, insbesondere Krill – winzige Krebstiere, die zum Zooplankton zählen.

Seit langem rätselten Forscher über das sogenannten Krill–Paradox: In den Gewässern um die Antarktis, dem Südpolarmeer, töteten Walfänger seit Beginn des 20. Jahrhunderts die weitaus meisten Bartenwale und brachten manche Arten an den Rand der Ausrottung. Doch obwohl sich diese Wale zum Großteil von Krill ernähren, stieg die Population ihrer Beutetiere nach dem Verschwinden der Meeressäuger nicht an. Ganz im Gegenteil: Sie brach nach dem Niedergang der Wale drastisch ein. Gleichzeitig fielen auch die Bestände von Seevögeln, Raubfischen und anderen Meeressäugern.

Den wahrscheinlichen Grund dafür ermittelte die aktuelle Studie, die eigentlich klären sollte, wie viel Nahrung Bartenwale vertilgen. Dazu versah das Team um Savoca in Atlantik, Pazifik und Südpolarmeer 321 Bartenwale aus sieben Arten – darunter Blauwale, Finnwale und Buckelwale – mit Sendern, die unter anderem Position und Bewegungen der Tiere aufzeichneten. Die Größe der Wale ermittelten die Forscher mit Drohnenbildern, zudem erfassten sie während der Tauchgänge der Meeressäuger die dortige Dichte ihrer Beute per Echoortung.

Ein Blauwal frisst 16 Tonnen Krill an einem Tag

Resultate: Ein ausgewachsener Blauwal (Balaenoptera musculus) im östlichen Nordpazifik vertilgt während der Futtersaison 16 Tonnen Krill pro Tag. Ein Glattwal (Eubalaena glacialis) im Nordatlantik frisst täglich etwa 5 Tonnen Zooplankton, ein Grönlandwal (Balaena mysticetus) etwa 6 Tonnen. Insgesamt vertilgen die untersuchten Arten pro Tag zwischen 5 und 30 Prozent ihrer Körpermasse – je nach Beutetyp. Das sei etwa dreimal mehr als bisher angenommen, schreibt das Team.

Gerade dieser gewaltige Appetit trägt zum Recycling von Nährstoffen bei: Denn Bartenwale scheiden mit ihren Fäkalien einen Teil der mit der Beute aufgenommenen Nährstoffe wieder aus, und zwar typischerweise nahe der Oberfläche. Insbesondere das ausgeschiedene Eisen düngt das zum großen Teil aus Kieselalgen bestehende Phytoplankton – und damit die Basis der gesamten Nahrungskette im Meer. Den Forschern zufolge enthalten Walfäkalien etwa 10 Millionen Mal mehr Eisen als das Südpolarmeer. Ihren Schätzungen zufolge düngen Bartenwale allein diesen Ozean derzeit mit 1200 Tonnen Eisen pro Jahr.

Das ist nur ein Bruchteil der vor gut 100 Jahren ausgeschiedenen Menge. Durch Auswertung historischer Fangdaten ermittelten die Forscher für das Südpolarmeer auch die Walbestände vor Beginn der industriellen Waljagd. Gerade Blauwale wurden dort fast ausgerottet: Um 1900 fraßen sie demnach jährlich 167 Millionen Tonnen Krill, 2000 waren es nur noch 0,6 Millionen Tonnen – ein Rückgang um 99,6 Prozent. Inzwischen haben sich die Blauwalbestände zwar ein wenig erholt, doch noch immer gilt die Art als stark gefährdet.

Wale düngen die Ozeane mit Eisen

Insgesamt konsumierten Bartenwale – neben Blauwalen auch Finnwale (Balaenoptera physalus), Buckelwale (Megaptera novaeangliae) und Südliche Zwergwale (Balaenoptera bonaerensis) – Anfang des 20. Jahrhunderts in dem Meer 430 Millionen Tonnen Krill pro Jahr. Das ist etwa das Doppelte jener Krillmenge, die der Ozean heutzutage enthält. Damals düngten diese Wale das Meer den Berechnungen zufolge mit 12.000 Tonnen Eisen pro Jahr – also mit dem Zehnfachen der heutigen Menge.

Eisen fördert als Schlüsselnährstoff den Phytoplankton–Reichtum und damit wiederum den Krill – die Hauptnahrung der Wale. Dessen Schwund im 20. Jahrhundert erfolgte demnach also maßgeblich durch den fehlenden Eisendünger aufgrund der drastisch eingebrochenen Zahl der Wale. Würden die Walbestände wieder das Niveau wie vor gut 100 Jahren erreichen, würde nicht nur die Produktivität der Ozeane deutlich steigen, sondern die größere Menge Phytoplankton könnte mit ihrer Photosynthese wesentlich mehr CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen – und so den Klimawandel bremsen.

In einem „Nature“–Kommentar verweist Victor Smetacek vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven auf historische Berichte, denen zufolge Krillschwärme vor Beginn des Walfangs die Wasseroberfläche im Südpolarmeer rot färbten, soweit das Auge reichte. Dieses einstige Schlaraffenland sei inzwischen ökologisch völlig verarmt. „Die Biomasse von Krill ist heute nur noch ein Bruchteil früherer Zeiten“, schreibt Smetacek. Krill habe mit der Dezimierung der Walbestände abgenommen, und „die letzten großen Oberflächenschwärme wurden in den frühen 1980er Jahren registriert“.

Nachrichtenquelle: geo.de

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