Ökologische Waldbewirtschaftung: "Wir sind keine weltfremden Romantiker"

Wie lässt sich das Ökosystem Wald schonender bewirtschaften als bislang üblich? Das soll bald ein neuer Studiengang interessierten jungen Menschen vermitteln. Ein Interview mit den beiden Co-Initiatoren Pierre Ibisch und Peter Wohlleben.

Im Sommer 2020 ist die Idee entstanden: Wir entwickeln mit Partnern einen neuen Studiengang. „Sozialökologische Waldbewirtschaftung“ soll dort gelehrt werden. Wer die Ausbildung absolviert hat, wird Wälder ganzheitlich als Ökosysteme schützen und nutzen – und nicht in erster Linie den Holzertrag, sondern die Vitalität des Waldes als Ganzes im Fokus haben, in all seinen für uns Menschen wichtigen Funktionen.

Neben großem Enthusiasmus bei Naturschutzverbänden und vielen Ökologen, Biologen und Biodiversitätsexperten gab es daraufhin auch harsche Kritik von manchen Vertretern der Holzwirtschaft und von forstlichen Fakultäten: Ein neuer Studiengang werde nicht gebraucht, hieß es, die bisherige Ausbildung decke ökologische Aspekte hinreichend ab. Ähnliche Ablehnung kam in den 1980er Jahren auch aus der Agrarwissenschaft, als erstmals Lehrgänge für Ökolandbau gegründet wurden. Wir glauben: Unsere Initiative wird eine wichtige Ergänzung zu den bestehenden Angeboten bieten. Warum? Das wollen wir in den kommenden Monaten erklären. In diesem Monat mit den beiden Co-Initiatoren Pierre Ibisch und Peter Wohlleben.

GEO entwickelt neuen Studiengang „Ökologische Waldbewirtschaftung“ (24043)

Herr Professor Ibisch, Herr Wohlleben, was fehlt Ihnen in der forstlichen Ausbildung?

Wohlleben: Mir vor allem eine vernehmbare Stimme aus der akademischen Forstwirtschaft, die zu schonenderem Umgang mit Wäldern mahnt. Es kann ja sein, dass ökologische Seminare gehalten werden, aber in der Praxis sehen wir: Es gibt verheerende Kahlschläge, wo sie gar nicht nötig wären; wir sehen, dass Waldböden übermäßig durch tonnenschwere Maschinen beschädigt werden – und wir sehen oft sogar, dass neue Nadelbaum-Plantagen ausgerechnet dort gepflanzt werden, wo gerade erst welche abgestorben sind. Wenn Ökologie in Hochschulen gelehrt wird, kommt sie in der Fläche bislang kaum an.

Erst Käfer, dann Kahlschlag: Pierre Ibisch und GEO-Chefredakteur Jens Schröder begutachten die Montabaurer Höhe, auf Einladung besorgter Biologen der Universität Koblenz-Landau
Erst Käfer, dann Kahlschlag: Pierre Ibisch und GEO-Chefredakteur Jens Schröder begutachten die Montabaurer Höhe, auf Einladung besorgter Biologen der Universität Koblenz-Landau
© Evgeny Makarov

Was soll im neuen Studiengang anders sein?

Ibisch: Das Ökosystem soll im Mittelpunkt stehen. Und die Bewirtschaftung von Wäldern unabdingbar geknüpft werden an den Erhalt ihrer Vitalität und an das Ausnutzen ökologischer Prozesse. Das ist keine neue Herangehensweise, aber bislang haben sich solche Ansätze nicht durchsetzen können, weil die Fokussierung auf eine einzige Ökosystemleistung des Waldes alle anderen überlagert hat: die Ernte von Holz. Wir werden in Zukunft sehen, dass die Rolle biologisch und strukturell vielfältiger Wälder als Wasserspeicher, als Landschaftskühler und als CO2-Senken wichtiger wird. Wir wollen junge Menschen ausbilden, die darauf vorbereitet sind, all diese Leistungen im Rahmen der Bewirtschaftung gleichermaßen zu fördern und inwertzusetzen. Mit neuen Nadelbaum-Monokulturen und bedenkenlosen Kahlschlägen lässt sich das nicht in Einklang bringen.

Könnte man nicht die bestehenden Ausbildungsgänge ergänzen?

Wohlleben: Natürlich entwickelt sich auch die bestehende Forstwissenschaft weiter. Aber zu langsam. Vorstöße für grundlegende Änderungen gab es viele, seit Jahrzehnten, aber die sind immer gescheitert. Das hat vielleicht auch mit der langen Tradition zu tun, die der systematische Waldbau in Deutschland hat, da ist das Primat der Holzproduktion tief verwurzelt. Wenn man von Nadelholz spricht anstatt von Bäumen, von Holzvorrat anstatt von Biomasse, von Holzboden anstatt von Waldboden – dann prägt das natürlich die Grundhaltung. Wir wollen da jetzt ein eigenständiges Beispiel danebensetzen, um zu zeigen: Das geht auch anders.

Manche Forstleute fragen, wo mit diesem Konzept noch das Holz herkommen soll.

Ibisch: Wir sind keine weltfremden Romantiker, die alle Wälder zum Schutzgebiet machen wollen. Unsere Idee von Sozialökologischer Waldbewirtschaftung schließt Holzproduktion ein. Aber die Nutzung soll nicht nur gut für die Menschen sein, sondern zugleich das Ökosystem nicht schädigen. Die Grenzen der nachhaltigen Nutzbarkeit sind nicht statisch. In der Klimakrise benötigt der Wald immer mehr Bäume für sein eigenes Überleben. Sozialökologische Waldbewirtschaftung bedeutet deshalb auch, der Gesellschaft zu erklären, dass unser Hunger nach Waldleistungen mit einem sinkenden Leistungsangebot gestresster Ökosysteme nicht gut zusammenpasst. Wie viel Holz wir nutzen können, wird vom Wald entschieden – nicht vom Markt.

Nachrichtenquelle: geo.de

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