Slánský-Tribunal 1952: Schauprozess gegen "westliche Agenten": Die Verschwörung, die es nicht gab

Spionage-Hysterie und antisemitisches Verschwörungsdenken: Im November vor 70 Jahren begann in Prag der Slánský-Prozess. Vor Gericht: 14 Männer, die angeblich eine Verschwörung gegen die Tschechoslowakei geplant haben sollen. Die Geschichte eines absurden Tribunals

Zusammengesunken hocken die vierzehn Männer auf der Anklagebank. Ausgemergelte Gestalten in viel zu großen Nadelstreifen-Anzügen, den Blick starr gen Boden gerichtet. Vor dem Staatsgerichtshof in Prag sollen sie – allesamt namhafte Vertreter der Staatsführung – im November 1952 ihre Vergehen gestehen: westliche Agenten zu sein und eine Verschwörung gegen den kommunistischen Staat der Tschechoslowakei geplant zu haben.

Es sind Verbrechen, die diese Männer niemals begangen haben. Und doch werden sie alle die Todesstrafe für sich selbst fordern.    

Der Slánský-Prozess, benannt nach dem früheren Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KSČ)  Rudolf Slánský, ist als einer der absurdesten Schauprozesse des 20. Jahrhunderts in die Geschichte eingegangen. Und als wahrscheinlich größtes antisemitisches Tribunal der Nachkriegszeit: fast alle Angeklagten waren Juden. In keinem anderen Schauprozess haben sich die Spionage-Hysterie des frühen Kalten Krieges und antisemitisches Verschwörungsdenken dermaßen vermengt.

Kommunistische Parteien suchen nach Verschwörern in den eigenen Reihen

Osteuropa im Jahr 1948: Der jugoslawische Präsident Tito überwirft sich mit Josef Stalin, will nicht den sowjetischen Weg zum Sozialismus beschreiten, sondern einen eigenen. Daraufhin leitet das überstaatliche Kommunistische Informationsbüro (Kominform) eine Kampagne gegen „nationalistische Abweichungen“ ein.

Auf Weisung Moskaus beginnen Kommunistische Parteien mit der Suche nach Verschwörern in den eigenen Reihen, sogenannten Titoisten. Bereits 1949 lassen die Regierungen in Ungarn und Bulgarien Schauprozesse veranstalten und hohe Politiker, angebliche Verschwörer gegen den Kommunismus, zum Tode verurteilen.

Anders die Tschechoslowakei: Die KSČ -Führung weigert sich zunächst, bei der Ermittlung gegen „Feinde im Parteiapparat“ willkürliche Anklagen zu erheben. Der Sicherheitsdienst kann schlicht keine verdächtigen „Agenten“ entdecken.

Tödliches Tribunal

Dabei steht das Land aus Sicht Stalins und anderer Ostblock-Staaten ohnehin im Verdacht, ein zweites Jugoslawien werden zu können. In der Tschechoslowakei, so argumentiert vor allem der polnische Geheimdienst, sei die Anzahl derjenigen, die aus dem westlichen Exil zurückgekehrt seien, größer als in anderen Ländern. Deshalb bestünde eine erhöhte Gefahr der Unterwanderung durch westliche Agenten. In Polen vermutet man in Prag gar das „Zentrum der internationalen Verschwörung gegen die Volksdemokratien“.

Um Staatsfeinde aufzuspüren, entsendet die Sowjetunion „Berater“ in die Tschechoslowakei. Tatsächlich erfolgen zur Jahreswende 1949/50 erste Festnahmen vermeintlicher Titoisten.

Jude zu sein, gilt nun als zentrales Kriterium für Verräter

Im Folgejahr verschiebt sich das Feindbild: Nun suchen die Sicherheitsdienste verstärkt „Zionisten“. Zuvor hatte Israel amerikanische Finanzhilfen angenommen, woraufhin in Ostblock-Staaten antisemitische Kampagnen gestartet wurden.

Juden, so beschreibt es der Historiker Dr. Jan Gerber vom Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur, wurde „aufgrund ihrer Deutsch- oder Mehrsprachigkeit nationale Unzuverlässigkeit unterstellt“. Mehr noch: Ein Jude zu sein, gilt nun als zentrales Kriterium für vermeintliche Verräter.

Als vermeintlich unantastbarer Generalsekretär der KPČ wurde Rudolf Slánský noch gefeiert (hier 1950). Nur ein Jahr später erfolgte die Festnahme
Als vermeintlich unantastbarer Generalsekretär der KPČ wurde Rudolf Slánský noch gefeiert (hier 1950). Nur ein Jahr später erfolgte die Festnahme
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Dadurch gerät auch der bis dahin als unantastbar geltende Parteichef Rudolf Slánský, der zweitmächtigste Mann im Staat – und Jude –, ins Visier der Ermittler. 1951 wird er verhaftet. Mit ihm zusammen angeklagt werden hochrangige Personen, darunter Vladimir Clementis, der frühere Außenminister, Slánskýs Stellvertreter Josef Frank und Otto Fischl, stellvertretender Finanzminister. Gleichzeitig verlieren zahlreiche Juden ihre Positionen im Staats- und Parteiapparat der Tschechoslowakei.

Am 20. November 1952 beginnt der Prozess: Die Angeklagten werden beschuldigt, im Auftrag westlicher Geheimdienste eine „trotzkistisch-titoistische, zionistische, bürgerlich-nationalistische“ Verschwörergruppe gegen die Tschechoslowakei gebildet zu haben. Elf der vierzehn Angeklagten, betont der Staatsanwalt, stammen aus jüdischen Familien.

Rudolf Slánský: „Ich habe feindliche Tätigkeit ausgeübt“

Sieben Tage dauert das Tribunal, in dem die Angeklagten offenbar auswendig gelernte Passagen vor laufender Kamera aufsagen. Die Aufnahmen sind auf Youtube zu sehen. „Ich habe feindliche Tätigkeit ausgeübt, ich habe Interessen der anglo-amerikanischen Imperialisten (…) vertreten, ich habe die Interessen des tschechoslowakischen Volkes verraten“, gibt Slánský zu Protokoll. Elf der Angeklagten verurteilt das Gericht zum Tode, drei erhalten lebenslange Freiheitsstrafen.

Warum nur gaben die Angeklagten Taten zu, die sie nicht begangen hatten? Weil sie durch Isolationshaft und Folter gebrochene Menschen waren? Oder weil ihnen mildernde Umstände zugesagt wurden, wenn sie nur der Parteilinie folgten? Fest steht: Mit diesen drakonischen Verurteilungen hat die KSČ auch ihre Treue zur Sowjetunion und zu Stalin demonstriert.

Am 3. Dezember 1952 werden die zum Tode Verurteilten gehängt. Die Schlinge um den Hals, sagt Slánský seine letzten Worte: „Danke! Ich bekomme, was ich verdient habe.“ Die Asche der Hingerichteten wird auf einer Straße bei Prag verstreut.

Nachrichtenquelle: geo.de

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