Klimapolitik: Klimaproteste bei VW und BMW: Warum Forschende ihre Komfortzone verlassen

Politische Einmischung gilt in der Wissenschaft lange als verpönt. Das ändert sich gerade – im Angesicht der Klimakrise, vor der Forschende seit Jahrzehnten erfolglos warnen

„Man kann demonstrieren, aber Sachbeschädigung finde ich nicht gut“, sagte kürzlich ein Passant in eine Fernsehkamera. Stein des Anstoßes war die Aktion einer noch relativ jungen und unbekannten Gruppe von Aktivisten, der Scientist Rebellion. Die rebellierenden Forschenden hatten Kunstblut auf den Stufen der Autostadt von VW in Wolfsburg gegossen, um auf die existenziellen Folgen des Klimawandels für den ärmeren Teil der Menschheit aufmerksam zu machen. Einige von ihnen klebten sich mit Sekundenkleber an den Boden eines Showrooms.

Ähnliche Klebe-Aktionen kennen wir schon von den jungen Wilden von Extinction Rebellion oder Letzte Generation. Die sich ihrerseits auf die Wissenschaft berufen. Neu an dem Wolfsburger Happening ist allerdings, dass es nun die Wissenschaft selbst ist, die den Konflikt mit der Wirtschaft und den gesellschaftlichen Institutionen inszeniert.

Wollen Forschende „vor allem in Ruhe gelassen“ werden?

Klimaforscher seien, wie andere Forscher auch, „im allgemeinen Menschen, die in Ruhe gelassen werden wollen und vor sich hinforschen dürfen“, sagte der Klimaforscher Hartmut Graßl einmal im Deutschlandfunk. „Sehr viele“ Wissenschaftler hätten Angst, in der Öffentlichkeit vorgeführt zu werden. „Deswegen gehen außergewöhnlich wenige wirklich an die Öffentlichkeit.“

Hinzu kommt: Dem öffentlichen Engagement stand lange das Selbstbild des wissenschaftlich arbeitenden Menschen im Weg. Fernab politischer Debatten, so die unausgesprochene Überzeugung, liefere man lediglich Daten, man beschränke sich darauf, bislang ungelöste Fragen in einem bestimmten Fachgebiet zu beantworten.

Doch ist das noch zeitgemäß und der Herausforderung der Klimakrise angemessen? Zumindest ein Teil der Scientific Community scheint inzwischen gewillt zu sein, diese Zurückhaltung aufzugeben. Unter ihnen, wie sollte es anders sein, viele Klimaforschende. Scientists for Future sekundieren seit 2019 den Aktivist*innen von Fridays for Future – ohne sich allerdings übermäßig aus der Deckung zu wagen.

Im Sommer 2022 erörterten fünf Klimaforschende und ein Politikwissenschaftler im Fachjournal Nature Climate Change die Frage, ob und wie sich Forschende politisch einmischen dürfen. Ihr Resümee fällt klar aus: Es reiche nicht, die Klimakrise immer detaillierter zu dokumentieren. „Wir sind verpflichtet, darüber nachzudenken, mit welchen neuen Mitteln wir auf die notwendige und dringende Transformation hinweisen können.“ Längst sei ein Punkt erreicht, an dem ziviler Ungehorsam gerechtfertigt sei.

Nun sind zwar bei weitem nicht alle (Klima-)Forschenden der Ansicht, dass die Menschheit gerade in eine selbst gemachte Katastrophe schlittert. So zeigte sich der Nobelpreisträger Klaus Hasselmann, der immerhin den Nachweis erbrachte, dass der Klimawandel menschengemacht ist, „optimistisch, dass wir das packen„. Doch vor allem unter den jüngeren Kollegen macht sich Verzweiflung breit. „Ich teile absolut die Frustration, dass eben immer noch nicht genug passiert“, sagt etwa Friederike Otto, die zu den Pionierinnen der Attributionsforschung gehört – jener Disziplin, die den Anteil des Klimawandels an einzelnen katastrophalen Unwettern kalkuliert.

Klimaforschende haben in der Politikberatung kaum Erfolg

Der Frust ist nachvollziehbar. Denn auf der einen Seite hat die Klimaforschung in den vergangenen Jahrzehnten bahnbrechende Erfolge gefeiert: Sie konnte nachweisen, dass es einen Klimawandel gibt, und dass er menschengemacht ist. Sie hat errechnet, wie viele Gigatonnen CO2 die Menschheit noch emittieren darf, wenn sie in einer halbwegs kalkulierbaren Klimazukunft leben will.

Andererseits halten sich die Erfolge der Klimaforschung in der Politikberatung in sehr engen Grenzen. Mit dem vorhersehbaren Ergebnis, dass bis zum Ende des Jahrhunderts 2,4 Grad Celsius erreicht werden – und das auch nur unter der Voraussetzung, dass alle von den Nationen gemachten Klimaversprechen erfüllt werden. 2,4 Grad, das muss man sich klarmachen, bedeuten eine andere Welt.Grüner Bereich

In der vergangenen Woche haben sich Forschende von Scientist Rebellion, der nach eigenen Aussagen schon mehr als 1000 Forschende aus 32 Nationen angehören, auch an BMW-Luxuskarossen geklebt. Sie wollten damit für eine Verkehrswende und ein Tempolimit werben. Und dafür, dass die reichen Nationen den Ländern des Globalen Südens Schulden erlassen. Die Quittung: vier Tage „Präventionsgewahrsam“.

Alles, was recht ist bei der Rettung des Planeten. Aber Sachbeschädigung geht ja nun gar nicht.

Nachrichtenquelle: geo.de

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