Aufbruch ins Unbekannte: Wie Hanno "der Seefahrer" das karthagische Reich vergrößerte
Auf der Suche nach Rohstoffen, fruchtbarem Land und Handelspartnern wagen Karthager immer wieder Expeditionen. Eine der größten leitet ein Aristokrat: Hanno “der Seefahrer”
Als die Expeditionsflotte von Hanno “dem Seefahrer” den Hafen von Karthago verlässt, sind die hölzernen Rümpfe zum Bersten gefüllt. 30.000 Frauen und Männer, so steht es zumindest in der griechischen Übersetzung von Hannos Fahrtbericht, drängen sich auf den Decks und Ruderbänken der 60 Schiffe, dazwischen Material und Vorräte. An jeder freien Stelle hat die Besatzung Krüge und Amphoren mit Getreide und Wasser verstaut.
Denn der Kommandant und seine Gefolgsleute stehen vor einer gewaltigen Herausforderung, die ihnen Ruhm bringen soll: Sie werden die Westküste Afrikas erkunden – und so weit nach Süden vordringen wie kein Karthager vor ihnen.
Hannos Flotte, die vermutlich um 500 v. Chr. ausläuft, ist riesig – und doch keine Besonderheit für den Stadtstaat. Denn Karthagos Bevölkerung wächst stetig, so sehr, dass die Metropole sie oft nicht mehr ernähren kann.
113 – Geo Epoche Nr. 113 – Karthago und die Welt der Phönizier
Regelmäßig brechen auch deshalb Einwohner auf, um an benachbarten Küsten neue Kolonien zu gründen – und Karthagos Reichtum zu mehren. Denn die Siedlungen erschließen der Mutterstadt den Zugang zu wertvollen Rohstoffen wie etwa Gold, Fellen oder Elfenbein. Und sie bieten den karthagischen Händlern neue Märkte für ihre Produkte.
Der Horizont Karthargos soll erweitert werden
Wohl um die Wende zum 5. Jahrhundert v. Chr. machen sich sogar gleich zwei Expeditionen auf den Weg. Unter dem Befehl Himilkons und Hannos, zweier karthagischer Aristokraten, brechen sie auf, den Horizont Karthagos über das Mittelmeer hinaus zu erweitern: Himilkon (von dessen Fahrt indes kaum mehr bekannt ist, als dass sie stattgefunden hat) im Norden – und Hanno im Süden. Kräftige Ruderschläge und der Wind in den großen, rechteckigen Segeln führen seine Flotte an der Küste Afrikas entlang.
Die Karthager halten sich eng am Ufer, gehen auch immer wieder an Land, um ja keinen vielversprechenden Siedlungsplatz zu verpassen. Bereits zwei Tagesreisen nach ihrer Einfahrt in den Atlantik werden sie fündig und gründen in einer weiten, flachen Landschaft wohl unweit von Kenitra im heutigen Marokko eine erste Kolonie: Thymiaterion. Wenig später, in der Nähe einer schilfbewachsenen, von Elefanten und anderen Tieren bevölkerten Lagune, lassen sie erneut Siedler zurück.
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Die Gegend wird den Karthagern zunehmend fremder
Je weiter die Karthager nach Süden kommen, desto fremder wird ihnen die Gegend. Am Lixos, einem großen, heute nicht mehr exakt zu verortenden Fluss, nimmt Hanno daher Angehörige eines lokalen Volkes als Dolmetscher auf. Sie sollen zwischen Karthagern und Einheimischen vermitteln. Nach weiteren drei Tagen Fahrt gründet Hanno die letzte Kolonie seiner Mission: Kerne, vielleicht südlich der Kanarischen Inseln gelegen.
Doch Hanno segelt weiter südwärts – gelockt vielleicht von der Kunde reicher Gold- und Eisenvorkommen im heutigen Senegal. Auch eine Umrundung Afrikas, wie sie Phöniziern laut antiken Quellen gelungen sein soll, schwebt ihm möglicherweise vor.
Mit jedem Ruderschlag aber wird die Gegend gefährlicher. Nachts sehen die Karthager, wohl von einem Vulkan, Flammen in den Himmel steigen, Feuerbäche aus Lava ergießen sich dampfend in die See. Und schließlich treffen sie bei einer ihrer Landgänge auf Wesen, die in ihren Augen die Grenze zwischen Mensch und Tier verschwimmen lassen.
Den Körper der gorillai, wie sie die Dolmetscher nennen, bedeckt dichtes Haar, mühelos klettern sie über Fels und Baum (vermutlich handelt es sich um Menschenaffen). Drei von ihnen wollen die Entdecker nach Karthago transportieren – doch sie wehren sich. Wenig später sind die gefangenen Gorillai tot, nur ihre Häute nehmen die Karthager mit.
Schließlich zwingen die schwindenden Vorräte die Flotte zur Umkehr. Wohl zurück in der Stadt am Golf von Tunis, verfasst Hanno einen Reisebericht. Über sein weiteres Leben ist nichts bekannt.
Seine Expedition ist ein großer Erfolg
Seine Expedition indes ist ein großer Erfolg. Sie erweitert den Einflussbereich der Karthager so weit nach Süden wie nie zuvor. Die nordwestafrikanische Küste wird bald zu einer wichtigen Quelle für den karthagischen Goldhandel. Auch Himilkons Reise endet glücklich, bis zu den Britischen Inseln gelangen seine Schiffe womöglich.
Der Höhepunkt der karthagischen Expansion steht allerdings erst noch bevor. Und statt der entfernten Küsten im Westen rückt bald ein anderes Ziel in den Mittelpunkt: Sizilien, die größte Insel des Mittelmeers.
Dieser Text erschien zuerst in GEO Epoche Nr. 113
Nachrichtenquelle: geo.de
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