Von Kranichen und Birnen: Warum es sich lohnt, im Herbst durch das Havelland zu reisen

Theodor Fontane hat das Havelland mit einem Gedicht geadelt. Doch ein Birnbaum ist längst nicht die einzige Sehenswürdigkeit, die die Region zu bieten hat

Regungslos steht er im Nebel. Fern der wenig belebten Asphaltstraße, wie ein grauer Pfahl, allein auf weiter Flur. Vermutlich hält er Rast auf seinem kräftezehrenden Zug durch Mitteleuropa. Und auch wenn das menschliche Auge nur diesen einsamen Kranich ausmachen kann, ist er sicher einer von vielen.

Gerade im Herbst und Frühjahr ist die Havelniederung Rastplatz für Tausende von Zugvögeln. Abgeerntete Felder, feuchte Wiesen, viel Weite, wenig Betrieb, die brandenburgischen Feuchtgebiete sind optimal als Schlaf- und Futterplatz.

Gute Nacht, Brandenburg

Wer sich einlässt auf endlos erscheinende Felder, auf karge Baumgruppen, auf Fachwerkhäuschen und viele Farben, kann hier wunderbar runterkommen. An einem Ort, an dem es jede Menge zu besichtigen gibt, an dem man aber trotzdem nichts verpasst, wenn man stattdessen nur die Weite der Natur wahrnimmt.Wildes Deutschland: zehnmal Natur zum Staunen (14801)

Nicht umsonst ist der Naturpark Westhavelland, dessen Lebensader, die Havel, sich Kilometer um Kilometer beständig windet, auch als Sternenpark anerkannt. Nur an wenigen Orten in Deutschland wird es nachts so dunkel wie hier. Dank der dünnen Besiedelung ist die Lichtverschmutzung fast gleich null. Gute Nacht, Brandenburg, hallo Milchstraße. Sterne funkeln, Tiere rufen, so geht Draußenzeit.

Im Naturpark-Zentrum Westhavelland erfährt man nicht nur, warum sich der Moorfrosch blau färbt oder wie viele Haare ein Otter hat, sondern auch etwas über die Renaturierung der Havel. Durch den Ausbau für die Binnenschifffahrt begradigt und befestigt, soll der Fluss jetzt in Europas größter Flussrenaturierung rückverändert werden.

Ältester Flugplatz der Welt

Eng mit der Natur verknüpft ist eine der Hauptsehenswürdigkeiten der Region: der älteste Flugplatz der Welt in Stölln. Der 1848 geborene Flugpionier Otto Lilienthal konstruierte seine Flugapparate aus Segeltuch und Weidenholz nach Vogel-Vorbild. Im Sommer 1891 gelang dem Wegbereiter der aerodynamischen Strömungslehre der erste Flug eines Menschen. Weitere Flug-Experimente machte der Ingenieur ab 1893 dann am rund 110 Meter hohen Stöllner Gollenberg – bis 1896.

Schnell wandert es sich über gewundene, sandige Pfade durch den bunt gefärbten Eichenmischwald hinab von der Windharfe am Absprungpunkt zum Gedenkstein an der Absturzstelle am Nordhang. Dieser erinnert an das tödliche Ende einer großen Passion. An den 9. August 1896, an dem eine plötzliche thermische Aufwindböe den Gleiter Lilienthals erfasste und aus 15 Metern Höhe abstürzen ließ. Einen Tag später verstarb er an einem Bruch des dritten Halswirbels.

„Ehre und Ruhm“ hat man unter dem Absturzdatum in den Stein gemeißelt. Das nahe gelegene Lilienthal-Centrum an der „Alten Brennerei“ steht ganz im Zeichen von Flugtechnik sowie Lilienthals Vita und Familie. Unter der Hallendecke: Doppeldecker, Eindecker und Otto, der über allem schwebt.

Rekord-Landung der „Lady Agnes“

Nicht nur die berühmte Unglücksstelle zieht Flug-Fans aus aller Welt ins Ländchen Rhinow, zum Gollenberg, der höchsten Erhebung im Landkreis. Nein, sie kommen auch, um Agnes zu sehen. Genauer: „Lady Agnes“, eine 1973 in Dienst gestellte Maschine der ehemaligen DDR-Fluggesellschaft Interflug, benannt nach Lilienthals Frau Agnes.

Am 23. Oktober 1989 landete der Flugkapitän Heinz-Dieter Kallbach das 75 Tonnen schwere Langstreckenpassagierflugzeug auf einer 860 Meter kurzen Gras-Landebahn unterm Gollenberg. Dafür erhielt er einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde. Ein Film über die gewagte Landung der Iljuschin 62 (IL 62) läuft für Besucher an Bord der Museumsmaschine. Im Cockpit des Flugzeuges kann man sogar heiraten.

Jedes Jahr zum Todestag Lilienthals findet noch heute ein Flug- und Drachenfest am Gollenberg, sonst fest in der Hand von Segelfliegern und Schafherden, statt.

Brückenbauwerk zum Bismarckturm

Rathenow hat spannende Geschichten und Natur zu bieten. Man kann die Stadt als Wiege der Optikindustrie bezeichnen. Der Theologe Johann Heinrich August Duncker fertigte um 1800 Mikroskope, Lupen und Brillen. Wer über die anlässlich der Bundesgartenschau 2015 errichtete 348 Meter lange Weinbergbrücke hoch über der Havel, über Booten und Schrebergärten, flaniert, landet im Naherholungsgebiet Rathenower Weinberg.

Herbstlaub raschelt unter den Füßen auf dem Weg durch die großzügigen Parkanlagen zum Bismarckturm. Dieser steht am höchsten Punkt, dem Kiekeberg. Am 24. Juni 1914 zu Ehren des ehemaligen Reichskanzlers eingeweiht, bietet der im neugotischen Stil errichtete Turm dank Restaurierung noch heute einen traumhaften Blick ins märkische Land. Als schlage der Puls der Natur auch auf 32 Metern Höhe. Der Bismarckturm ist der höchste seiner Art in Deutschland.

Baumstumpf und Birnentorte

In der Evangelischen Kirche zu Ribbeck ist ein Stückchen Natur die Haupt-Sehenswürdigkeit. Der Baumstumpf nämlich, der da, eine schmale Treppe hoch, unter Glas, zu sehen ist, gehört zum legendären Birnbaum von Theodor Fontanes Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“.

1911 zerbrach dieser bei einem Sturm, später noch ein zweiter – so steht vor der kleinen Kirche aus dem 13. Jahrhundert mittlerweile bereits ein Birnbaum in dritter Generation. Unter dem südlichen Anbau der Kirche befindet sich noch heute die Gruft der Familie von Ribbeck. Vor der Kirche prangt eine güldene Birnenskulptur.

Gegenüber der Kirche, im alten Waschhaus, lockt ein Café mit Birnenfrühstück (auf Vorbestellung), original Ribbecker Birnentorte in über 200 Variationen sowie einem ganz besonderen Ambiente. Bügelbretter als Tische, Waschzuber als Lampen, Spitzendeckchen obendrauf. Inhaberin Marina Wesche hat ihr Café mit der passenden Anschrift „Am Birnbaum 6“ mit Raritäten in Fülle dekoriert.

Stachelbeer-Birne, Mohn-Birne, Holunder-Birne oder Schokolade-Birne: Torte ohne Birnen? Fehlanzeige im Alten Waschhaus. Nur zur Sicherheit gibts obendrein Birnensaft, Birnenschnaps – und mehr. Das Konzept ist klar. Nicht, dass jemand den Ribbeck vergisst. Man is(s)t ja schließlich im Havelland.

Nachrichtenquelle: geo.de

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