Dirk Steffens: "Manchmal ist man der Heimat in der Distanz erstaunlich nahe"

Weit über hundert Länder in aller Welt hat der GEO-Naturjournalist und Fernsehmacher Dirk Steffens bereist, den Regenwald, die Wüste und das ewige Eis kennengelernt. Immer mit dabei: seine Espressomaschine und Zuversicht

Herr Steffens, wissen Sie eigentlich, in wie vielen Ländern Sie schon waren?

Ich habe nicht den blassesten Schimmer. Ein Journalist hat mal geschrieben, dass es 120 waren, seitdem schreiben das alle ab – und ich behaupte das auch manchmal. Möglicherweise sind es aber deutlich mehr, von der Arktis über Mexiko bis Zentralafrika.

Sind Sie jemals genervt vom Reisen?

Definitiv. Ich mache diesen Job seit etwa drei Jahrzehnten und bin die Hälfte des Jahres unterwegs. Und noch immer kann ich mich nicht damit abfinden, dass ich so viel Zeit meines Lebens in Wartehallen, an Sicherheitskontrollen, in unbequemen Flugzeugsitzen und blöden Autos auf langweiligen Landstraßen verbringen muss. Ohne das alles wäre ein Leben auf Reisen toll.

Wo fühlen Sie sich zu Hause?

In Hamburg, im Norden. Heimat ist für mich immer wichtiger geworden, je öfter ich unterwegs war. Reisen ist ja vor allem deshalb schön, weil es einen Ort gibt, von dem man startet und an den man wieder zurückkehrt. Hätte ich das nicht, würde ich ein nomadisches Leben führen.

Haben Sie das nie in Erwägung gezogen, ein Leben als Vagabund?

Klar. Hin und wieder habe ich überlegt, wie es wäre, einfach nonstop auf Reisen zu sein. Ich denke aber, dass ich dabei Gefahr laufen würde, mich zu verlieren. Die Idee klingt zwar verlockend, so kosmopolitisch. Aber ohne Wurzeln ist ein Baum ja bloß noch Treibholz.

Haben Sie nach so vielen Jahren unterwegs auch in Hotels Wurzeln geschlagen?

Nicht wirklich. Durch die Anonymität kann ich mich in Hotels frei bewegen – ich bleibe nicht lange und hinterlasse nichts. Manchmal ist man der Heimat in der Distanz aber erstaunlich nahe.

Reisen, Abenteuer und Kinder – Was Linda Zervakis an der Hotelbar zu erzählen hatte (22275)

Inwiefern?

Je weiter man von Zuhause entfernt ist, desto eher wird man von Landsleuten angesprochen, das hat schon zu lustigen Begegnungen geführt. Zum Beispiel in Kuala Lumpur, in einem Hotel mit sehr, sehr vielen Etagen. Im Erdgeschoss stieg ein deutsches Ehepaar mit mir in den Aufzug, wir unterhielten uns etwa 48 Stockwerke lang. Als sich die Fahrstuhltür öffnete und sie ausstiegen, sagten sie „Tschüss, Herr Pflaume“. Seit ich diese Story erzählt habe, nennen mich Medien auch gern Kai Pflaume mit Allradantrieb.

Was brauchen Sie noch auf Reisen, außer Ihrem Allradantrieb?

Wenn ich beruflich reise, dann sind wir meist ein Team aus drei Leuten. Wir kennen uns sehr gut und wissen, dass wir unter keinen Umständen auf unsere portable Espressomaschine verzichten können. Weder im Regenwald, noch in der Sahara oder im ewigen Eis der Arktis. Andere trinken Espresso an einer Hotelbar. Dort bestelle ich eigentlich seit 20 Jahren Gin Tonic. Am liebsten London Dry, mit Tonicwater, Orangenzeste und einer Prise Pfeffer. So wie ihn Queen Mum früher getrunken hat.

Wie sieht die passende Umgebung zu Ihrem Gin Tonic aus?

Am besten so, als hätte Hemingway persönlich gerade einen Drink beim Barkeeper bestellt. Ich mag historisch angehauchte Umgebungen wie „Falk’s Bar“, an deren Tresen wir gerade sitzen. Es gibt aber nur wenige, in denen man sich so wohlfühlen kann. Da ich wahrscheinlich mehr meiner Geburtstage in Hotelbars verbracht habe als zu Hause, habe ich ein Auge dafür.

Erinnern Sie sich an ein besonderes Hotelbar-Erlebnis?

Nicht nur an eines. In Botswana mussten wir die Bar der Lodge räumen, weil ein Rudel Löwen am Pool trinken wollte. Dann hat es die Bar besetzt. Und in der Antarktis habe ich mal eine sensationelle Party in einer luxuriösen Zelt-Bar auf dem ewigen Eis miterlebt. Mit lauter unfassbar reichen Menschen, chinesischen Geschäftsleuten, norwegischen Abenteurern – und meine Crew und ich mittendrin.

Dirk Steffens mit einem Glas Gin in der Hand
© Florian Generotzky

In welchen Hotels fühlen Sie sich wohl?

Ich mag Unterkünfte, die sich der Natur um sie herum anpassen. Traditionshäuser in Großstädten genauso wie kleine Hotels an abgelegenen Orten. Das Spannende: Es gibt in jeder Kategorie richtig gute Hotels. Manchmal versprühen Strandhütten mehr Charme als Luxushäuser, die 800 Euro pro Nacht kosten. Außerdem habe ich eine schwer zu beherrschende Leidenschaft für Spa-Bereiche.

Als Naturreporter? 

Ja. Mein Beruf ist oft sehr körperlich und mit Anstrengung und Schmerzen verbunden. Ich will die Themen, die wir in den Sendungen behandeln, fühlbar machen. Deshalb kommt es auch mal vor, dass ich zum Beispiel mit indigenen San-Jägern in der Kalahari-Wüste auf Antilopenjagd gehe. Nach solchen Erlebnissen brauche ich Ausgleich und versuche, mich im Spa bei mehreren Saunagängen zu entspannen. Ob das die Folgen der Anstrengung lindert, weiß ich nicht. Mir reicht aber schon der Placeboeffekt.

Wählen Sie Ihre Hotels also nach dem Spa-Bereich aus?

Für Produktionen wähle ich sie gar nicht selbst aus. Meistens schlafen wir in Drei-Sterne-Hotels oder Zelten. Luxus kommt da selten vor. Für mich ist dieser unglaublich hohe Standard, wie man ihn zum Beispiel auf Hotel-Inseln der Malediven findet, erstaunlich. Ich kann den Moment zwar genießen, denke aber, wenn alle so leben würden, wäre die Welt längst kaputt. Man spürt Ungleichheit, Dekadenz, verschwendete Ressourcen und Hedonismus an solchen Orten.

Wie bringen Sie das in Einklang mit Ihrem Einsatz gegen das Artensterben und die Klimakrise?

Platter Verzicht allein wird unsere Probleme nicht lösen. Dass wir hier sitzen und über diese Themen sprechen, liegt auch daran, dass Menschen wie Jane Goodall oder Al Gore ihr Leben lang um den Planeten gereist sind. Man kann die Welt nicht erklären und verstehen, wenn man sie nicht kennenlernt. Dass niemand mehr reist, sollten wir uns deshalb nicht wünschen.

Was kann man tun, um so nachhaltig wie möglich zu reisen?

Ich kompensiere meine Flüge und versuche, vor Ort so wenig Ressourcen wie möglich zu verschwenden. Als Gast in einem anderen Land hat man aber nur begrenzt Einfluss. Das Bemühen, etwas Gutes zu tun, kann einen auch überfordern, weil man oft nicht weiß, wo man ansetzen soll. Ich kenne das. Und die Coronakrise hat gezeigt, dass wir durch individuellen Verzicht bloß sieben Prozent der Treibhausgase eingespart haben.

Aber Verzicht ist gut fürs Gewissen.

Und das wiederum ist wichtig für ein gutes Leben. Aber die unbequeme Wahrheit ist eben auch: Wir müssen auf drei Ebenen Einfluss nehmen – individuell, wirtschaftlich und politisch.

Sie berichten seit Jahrzehnten über das Artensterben. Wann haben Sie bemerkt, dass das Ihr Thema wird?

In den Neunzigern am Great Barrier Reef in Australien. Nachdem ich das erste Mal dort getaucht bin, konnte ich zwei Nächte lang nicht schlafen vor Glück. Die Schwerelosigkeit, dieses unfassbare Bauwerk, errichtet von Lebewesen . . . ich war überwältigt. Kurz danach gab es den ersten El-Niño-Effekt, und der Begriff Korallenbleiche tauchte auf. Gleichzeitig häufte sich im Meer immer mehr Müll an. Damals hätte ich nicht gedacht, dass man etwas so Großes und Wunderbares in so kurzer Zeit zerstören kann.

Wie bleiben Sie zuversichtlich?

Es gibt keine Alternative zur Zuversicht. Resignation löst keine Probleme. Auch, wenn ich mich mit dramatischen Themen befasse, kann ich mir keinen schöneren Beruf vorstellen. Die Natur macht mir jeden Tag klar, dass ich zu einem großen, komplexen System gehöre, das wir nur teilweise verstehen und in dem ich mich auch wieder auflöse. Früher hatte ich Angst, dass ich die Faszination für ein Thema verlieren würde, wenn ich mich tiefer damit beschäftige. Die Natur macht das Gegenteil mit mir: Je mehr ich darüber erfahre, desto faszinierter bin ich.

Dieses Interview ist zuerst erschienen in GEO Saison 08/2022

Nachrichtenquelle: geo.de

Zum Artikel: Dirk Steffens: "Manchmal ist man der Heimat in der Distanz erstaunlich nahe"

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