Nachhaltig reisen: Pionierarbeit: Warum Michael Succow so wichtig für Deutschlands Natur ist

Die 18 deutschen Biosphärenreservate sind perfekte Ziele für nachhaltiges Reisen. Ohne Michael Succow gäbe es viele von ihnen nicht. Und das nächste hat er fest im Blick: den Greifswalder Bodden

Manchmal ist es ein einziger Mensch, der die Welt besser macht, der mit seinem politischen Instinkt im richtigen Moment genau das Richtige tut, mutig, nicht zaudernd. Das habe ich im Kopf, als ich nach Greifswald fahre und Michael Succow besuche. Der Agrarwissenschaftler, Moorspezialist und Naturschützer ist solch ein Mensch.

Ich starte von meinem kleinen Haus im Biosphärenreservat Schaalsee 190 Kilometer weiter westlich, das ich mir mit Freunden teile und in das ich gerade mein Homeoffice verlegt habe. Gerade mümmelt sich ein Hase durch die Wiese, Goldammern fliegen zwischen Holunder und Haselnüssen hin und her, ein Reh führt zwei Kitze durchs hohe Gras. Ich warte noch ein bisschen, bevor ich das Haus verlasse, will die Tiere nicht stören, die ihre morgendlichen Wege gehen. Das Biosphärenreservat Schaalsee zwischen Ratzeburg und Schwerin, in dem dieses Häuschen steht, ist eine Landschaft, in die ich mich jeden Tag aufs Neue verliebe: schwingende Endmoränen, Wälder, die nach jedem Sturm ein wenig anders aussehen, Felder und Rinderweiden, Gutshäuser, Dörfer mit tausend Jahre alten Feldsteinkirchen, herrliche Wander- und Radwege. Zwischen allem liegt dieser in viele Buchten und Halbinseln zerfranste Schaalsee samt versteckter Badestellen im Schilf.

Wenig bekannte Naturschönheiten

Auch deshalb will ich Michael Succow besuchen: um mich zu bedanken. Ohne Succow wäre die Schaalsee-Natur, wären die Felder bis zum Horizont intensivst beackert, die alten Wanderwege längst zerstört, die Knicks gerodet, die mit ihren Büschen und Bäumen entlang der Wege wachsen und Schatten spenden. Hätte Michael Succow nicht mit Freunden aus der DDR-Naturschutzbewegung als stellvertretender Umweltminister der Modrow-Regierung das politische Vakuum erkannt, hätte er nicht in der letzten Volkskammersitzung 1990 dafür gesorgt, dass sechs Biosphärenreservate, fünf Nationalparks und drei Naturparks auf dem Gebiet der ehemaligen DDR geschützt und als Attraktionen für Naturliebhaberinnen und -liebhaber vorsichtig entwickelt werden, es gäbe sie wahrscheinlich nicht. Als „Husarenstück“ ist die Aktion weithin bekannt geworden.

Succow wurde mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet

„Ach was“, sagt Michael Succow bescheiden, der 1997 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde. „Wir hatten schon jahrelang in der Umweltschutzbewegung gearbeitet, wir waren bestens vernetzt und informiert, das war eine unglaubliche Chance, die wir uns nicht entgehen lassen wollten.“ Succow spricht erstaunlich leise, was nicht an seinem Alter liegt, eher daran, dass er es gewohnt ist, dass ihm Leute zuhören. Ich treffe ihn in einer eingewachsenen Villa auf dem Gelände der Universität Greifswald, dem Sitz der Succow-Stiftung.

Das Fenster ist geöffnet, eine blaue Jacke wärmt ihn, seine hellen Augen leuchten, als er ins Erzählen kommt. Es ist nicht einfach, ihn zu interviewen. Seine 81 Jahre halten ihn nicht davon ab, mehrere Stunden am Stück zu reden, ohne auch nur einen Schluck Wasser zu trinken, irgendeine Zahl, ein Gesetz nachzublättern; viele seiner Antworten driften ins Anekdotische ab. So die Geschichte von den platten Lada-Reifen. Die DDR-Staatssicherheit hatte noch 1990 versucht, die Fahrt von Succow und anderen Naturschützern zum damaligen Umweltminister Klaus Töpfer in Saarbrücken zu verhindern. Auch an seine Zeit als Agrarwissenschaftler der DDR erinnert sich Succow, als er schweren Herzens Moore für die Agrarkombinate entwässern musste, und doch die Genossen überreden konnte, das eine oder andere Moor dabei geflissentlich zu übersehen.

Michael Succow im Garten der Succow-Stiftung in Greifswald
Der Agrarwissenschaftler, Moorspezialist und Naturschützer Michael Succow setzt sich für den Erhalt von Biosphärenreservaten ein
© picture alliance/dpa | Stefan Sauer

Succow ist kein Fantast, er liebt die Wildnis, aber auch die Menschen, die in der Natur wohnen und wirtschaften, bestenfalls sozial- und umweltverträglich, die Wanderwege pflegen und die Schutzgebiete hüten. Während in den Nationalparks möglichst viel Natur dem Menschen entzogen wird, unterstützen Biosphärenreservate das harmonische Nebeneinander von Natur-Nutzung und Natur-Sein-Lassen. Nachhaltige Pensionen, Restaurants mit regionalen Bioprodukten, kleine Bauernverkaufsstellen und der öffentliche Nahverkehr werden gefördert. Für Urlauberinnen und Urlauber, die umweltbewusst in der Natur reisen wollen, sind diese Regionen ideal.

Mit Tourismus verdienen die Reservate Millionen

Ein Erfolgsmodell: 1,1 Millionen Menschen leben in den 18 deutschen Biosphärenreservaten, die pro Jahr 200 Millionen Euro mit nachhaltigem Tourismus erwirtschaften, die Elbtalauen zum Beispiel, der Pfälzer Wald, die Schwäbische Alb, die Rhön, der Spreewald oder der Schaalsee, wo mein Häuschen steht. Weltweit existieren 727 Biosphärenreservate mit 200 Millionen Bewohnern. Für einige Reservate in Usbekistan, Oman, Russland, Iran oder in der Mongolei leistete die Succow-Stiftung Geburtshilfe.

Allerdings hat die Pandemie auch die Arbeit der Succow-Stiftung und ihres Gründers nachhaltig verändert – und den Greifswalder Bodden, die Gegend direkt vor der eigenen Haustür, immer mehr in den Fokus gerückt. Das flache Gewässer zwischen Usedom, Peene-Mündung, Lubmin, Greifswald und Südrügen sei ein Naturschatz, sagt Succow. Nur wenige Siedlungen säumten die Ufer, zerzauste Küstenwälder gehen in wilde Wiesen und Tümpel über, in denen viele seltene Vögel brüten. In seiner Greifswalder Studentenzeit, erinnert sich Succow, war der Bodden die Heringskinderstube der ganzen Ostsee, „glasklares Wasser, alles voller Fische“. Weil erst die DDR-Betriebe, später die Agrarkonzerne Südrügens ihre Pestizide und Dünger in den Bodden fließen lassen, bleiben die Netze heute leer.

„Der Bodden muss besser geschützt werden“, gibt sich Succow kämpferisch – und wenn Succow kämpft, dann meint er es ernst: „Ich liebe dieses Land, ich lebe hier. So viel gewachsene intakte Kulturlandschaft wurde schon von den Agrarkonzernen zerstört. Das sind keine Bauern, das sind Spekulanten, die auf internationalen Märkten ihr Geld verdienen. Der Bodden und das angrenzende Land müssen ein Biosphärenreservat werden, bestenfalls mit dem Biosphärenreservat Südost-Rügen verschmelzen. Dann können wir das ändern.“ Zudem würde sich die Stiftung jetzt schon erfolgreich um Flächen rund um den Bodden bewerben, die vom Bund als „Nationale Naturerbe“ an Naturschutzverbände weitergegeben werden. „Wenn es der Stiftung gehört“, sagt Succow, „können wir machen, was wir wollen.“ Was bei Succow immer heißt: die Natur schützen.

Die Stiftung betreut sechs Gebiete am Bodden

Zurzeit betreut die Stiftung sechs Naturjuwelen am Bodden, den Palmer Ort an der Südspitze Rügens. Oder die Karrendorfer Wiesen und den Lanken-Wald in der Nähe von Greifswald. Eigentlich wollten wir zusammen im Lanken spazieren gehen, einem der Lieblingsplätze Succows, aber seine Zeit reichte nicht. So habe ich den Weg durch den verwilderten Wald für mich allein.

Der Himmel hängt tief, die Wolken scheinen sich in den Kiefern und Eichen fast zu verfangen. Der Wind streicht durch die zerzausten Bäume. Jeder Baum klingt anders, wenn die Böen ihn erfassen: Manche knattern, andere knistern, andere wiederum klackern, quietschen oder rascheln. Viele Stämme liegen übereinandergeworfen am Strand, halb im Wasser. Die kleinen Wellen der Bodden-Ostsee rütteln sachte an den Ästen. Hoch am Himmel kreisen Kranichschwärme, zu Hunderten sind die großen Vögel in ihren V-Formationen unterwegs. Ich lehne mich an einen verwitterten Stamm, lasse mich in den Sand sinken, schaue auf die wuchtigen Greifswalder Kirchtürme am Horizont, über den milchig-blauen Bodden bis hinüber zur Südspitze Rügens.

Kreidefelsen und Küstenwälder: Die grünen Schätze der Ostsee

Am frühen Abend bin ich in den Karrendorfer Wiesen, 15 Kilometer nördlich von Greifswald, mit Nina Seifert verabredet, die für die Naturschutzgebiete der Stiftung zuständig ist. Rinder weiden in den Senken, ein Bagger trägt einen alten Deich ab, die letzten Bauarbeiten, um das Moor wieder zu vernässen, das Ostseehochwasser in die Wiesen fluten zu lassen. Bekassinen, Rohrdommeln und Pfuhlschnepfen steigen auf. Seifert macht regelmäßig Führungen in dieser Landschaft, die gerade der Natur zurückgegeben wird. „Da war schon jemand dabei, der Tränen in den Augen hatte“, sagt die Ornithologin: „Er habe so hart geschuftet, um dieses Land urbar zu machen, erzählte der Mann. Es hätte doch geheißen: Auf Genossen! Gegen den Hunger in Afrika! Und jetzt würden wir alles kaputt machen. Ich hatte meine liebe Not, ihn vom Wert der Moore zu überzeugen.“ Wäre er mit dem charismatischen Succow unterwegs gewesen, sagt Seifert anerkennend, wäre dieser kritische ehemalige Landarbeiter schneller bekehrt.

Exkursion an den Greifswalder Bodden

So was ist schon oft passiert: Jeden Sommer lädt die Succow-Stiftung 20 junge Naturenthusiasten zu einer Exkursion an den Greifswalder Bodden, die von Succow selbst geführt wird. Die Berichte der „Succownauten“ sind Hymnen auf den Naturschützer, auf den Fotos sieht man die Gruppe gemeinsam nackt in den Bodden springen. Nina Seifert sagt, mit dem Aufhängen von Nistkästen habe sich Succow nie zufriedengegeben. Wer wie in der Wendezeit in wenigen Monaten ein Jahrhundertprojekt stemmen konnte, sei davon geprägt: „Man muss schon ein bisschen verrückt sein, um so groß zu denken.“ Und wenn Succow ankündige, er werde auch den Greifswalder Bodden zum Biosphärenreservat machen, die Agrargroßkonzerne Südrügens zähmen, das Gelände der gescheiterten Nord Stream 2 vereinnahmen und die einzelnen Naturschutzgebiete rund um den Bodden verbinden, dann werde ihm auch das gelingen.

Auf dem Weg zurück an den Schaalsee, als ich dem Wild ausweiche, das die Straße kreuzt, denke ich an Succows Lebenswerk. Im Gespräch klang der alte Mann zwischendurch so traurig, so verzweifelt, zeterte über die kapitalistisch geprägte Landwirtschaft und die Politikerinnen und Politiker, die sich der Lobby beugen würden: „Wir haben 1989 von einem sozialen und umweltverträglichen Umbau geträumt. Aber einigen wenigen Konzernen gehört heute fast alles. Das ist schon frustrierend.“ Wie so vielen, die ihr Leben lang für den Natur- und Klimaschutz kämpfen, mache ihm allein „Fridays for Future“ Hoffnung.

Als ich später in der Dunkelheit auf dem Feldweg auf mein Schaalsee-Häuschen zufahre, fällt mir ein: Ich habe ganz vergessen, mich zu bedanken. Das hole ich jetzt nach: Michael Succow, falls Sie diesen Text lesen: Haben Sie vielen Dank für Ihre Arbeit. Und für die Biosphärenreservate. Und ganz besonders für das Reservat rund um den Schaalsee. Das ich so liebe.

Dieser Text erschien zuerst in GEO SAISON 08/2022

Nachrichtenquelle: geo.de

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