David gegen Goliath: Bedrohtes Inselparadies: Indonesische Fischer verklagen Zementriesen

Die Insel Pari vor der Küste Javas hat vieles, was sie zum Urlaubsparadies macht: lange Sandstrände, türkisfarbenes Meer und jede Menge Palmen. Doch schon bald könnte Pari im Ozean verschwinden. Vier Fischer kämpfen dagegen an

Seit jeher leben die Bewohner der indonesischen Insel Pari mit und von dem Ozean. Sie sind Fischer oder arbeiten mit den Touristen, die auf Booten aus Jakarta kommen, um sich an ihren weißen Traumstränden zu entspannen. Ihre Häuser bauen sie nur wenige Meter vom Meer entfernt. Doch das wird immer schwerer möglich: Flutkatastrophen und steigende Meeresspiegel bedrohen ihre Existenz. Allein in den vergangenen neun Monaten wurde die Insel viermal überflutet. Das ist neu. „Als ich ein Kind war, da gab es so etwas nicht“, berichtet der 36-jährige Fischer Edy Mulyono. „Es gab nicht solche extremen Wetterphänomene.“

Knapp zwei Kilometer ist Pari Island lang. Eine Fläche, so groß wie acht Fußballfelder hat die Insel bereits an das Meer verloren – elf Prozent ihrer Landfläche innerhalb von nur acht Jahren. Ein Hintergrundpapier des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) bestätigt: Schuld daran ist der Klimawandel. Demnach ist der Meeresspiegel in den vergangenen fünfzig Jahren um gut 20 Zentimeter angestiegen. Pari Islands höchster Punkt liegt bei nur wenigen Metern über Normal Null. Die steigenden Meeresspiegel sind hier eine Katastrophe. Doch statt ihre Heimat aufzugeben, haben vier einheimische Fischer nun beschlossen, in den Kampf zu ziehen. Ihr Gegner: die Holcim AG, der größte Zementkonzern der Welt. Ihn machen sie für den Untergang ihrer Insel mitverantwortlich. Im Schweizer Kanton Zug hat eine Anwältin am Montag im Namen der Indonesier ein Klageverfahren eingeleitet, was exklusive RTL/ntv-Informationen belegen.

Die Hoffnungen der vier Indonesier – eine Frau und drei Männer – sind groß. „Erstens erwarte ich, dass sie [Holcim] ihre Treibhausgase reduzieren, damit der Klimawandel nicht voranschreitet. Sie müssen ihre Emissionen verringern“, sagt Edy Mulyono, einer der Kläger. „Der zweite Punkt ist, dass sie für ihren Anteil am Klimawandel zur Verantwortung gezogen werden.“

Nationalparks im Wandel

Mit seiner Frau und drei Kindern lebt er seit jeher auf der Insel, führt eine Fischfarm und eine Unterkunft für Touristen. Mehrere Jahre war er Dorfvorsteher. Mulyono kennt seine Insel – und er weiß ganz genau, mit wem sich die kleine Inselgemeinschaft jetzt anlegt. „Warum Holcim?“, fragt Fischer Edy Mulyono und gibt sogleich selbst die Antwort. „Wir meinen, dass neben anderen die Holcim AG drastisch zur Umweltzerstörung beigetragen hat. Deswegen haben wir sie ausgesucht.“

Konzern soll zur Senkung der CO2-Emissionen verpflichtet werden

Die Kläger wollen, dass das Unternehmen ihnen und ihrer Inselgemeinschaft Schadensersatz für die Zerstörung von Häusern, Fischfarmen und Infrastruktur zahlt. Das belegen die in der Schweiz eingereichten anwaltlichen Unterlagen. Außerdem soll der Konzern Schutzmaßnahmen finanzieren, durch welche die Insel vor zukünftigen Unwettern geschützt wird. Für die Holcim AG sollte eine weitere Forderung jedoch weit bedeutender sein: Die vier Kläger wollen den Zementkonzern auf eine viel drastischere Senkung seines CO2-Ausstoßes verpflichtet wissen. So soll die Holcim AG ihre Treibhausgase bis 2030 um 43 Prozent reduzieren (zum Vergleichsjahr 2019), bis 2040 um 69 Prozent. Dies würde sicher nur mit umfangreichen und teuren Investitionen möglich sein. Wahrscheinlich müsste der Konzern seine Beton- und Zementproduktion völlig umstellen.

Zum Klageverfahren, das die vier Fischer gegen das Unternehmen eingeleitet haben, äußert sich Holcim auf Anfrage nicht. Yves Böni, ein Sprecher des Unternehmens, teilte aber mit, dass der Konzern Klimaschutz „sehr ernst“ nehme. „Wir haben unseren CO2-Fussabdruck über die vergangenen Jahrzehnte entscheidend reduziert. Wir werden diesen Weg im Einklang mit den wissenschaftlichen Anforderungen bis 2030 weiter beschleunigen und werden bis 2050 ein klimaneutrales Unternehmen sein.“

Holcim-Zement wird auch in Deutschland verbaut: in U-Bahnhöfe, Freizeitparks oder Rheinbrücken
Holcim-Zement wird auch in Deutschland verbaut: in U-Bahnhöfe, Freizeitparks oder Rheinbrücken
© RTL-Footage

Laut einer Studie des US-amerikanischen Climate Accountability Institute ist Holcim für 0,42 Prozent der gesamten Treibhausgase verantwortlich, die seit dem Jahr 1750 weltweit in die Luft geblasen wurden. In den siebzig Jahren zwischen 1950 und 2020 habe Holcim sieben Milliarden Tonnen Zement produziert. Die dabei verursachten CO2-Emissionen beliefen sich laut der Studie auf etwa die gleiche Summe. Damit gehört die Holcim AG zu den „Carbon Majors“, den Konzernen, die für einen Großteil der Treibhausgase in der Atmosphäre seit Beginn der Industrialisierung verantwortlich sind. Hervorgegangen ist das Unternehmen aus der Schweizer Holderbank und der französischen Lafarge.

Das Zeitfenster, die Insel zu retten, ist klein

Holcim-Zement wird auch in Deutschland verbaut: in U-Bahnhöfe, Freizeitparks oder Rheinbrücken. Allein in der Elbphilharmonie in Hamburg stecken 63.000 Kubikmeter Beton und 30.000 Tonnen Zement von Holcim. Die Nutzung von herkömmlichem Zement hat eine verheerenden Klimabilanz. Laut dem Umweltwissenschaftler Yvan Maillard Ardenti vom Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS) gehört die Zementindustrie zu den größten globalen Klimasündern. „Zement weltweit ist etwa dreimal so schlimm wie Fliegen“, ordnet der Experte die Klimabilanz ein. „Hier entsteht Klimawandel und Klimawandel verursacht Meeresspiegel-Anstieg.“

Wegen dieses Zusammenhangs stehen den Fischern große Nichtregierungsorganisationen bei: in ihrer Heimat die indonesische Organisation WALHI, die schweizerische HEKS und in Berlin das ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights). Allen Beteiligten ist klar, dass das Verfahren in der Schweiz Modellcharakter hat. „Das eingeleitete Verfahren gegen Holcim in der Schweiz ist Teil einer weltweiten Bewegung“, sagt ECCHR-Menschenrechtsanwältin Miriam Saage-Maaß. „Unternehmen können sich nicht mehr verstecken.“ Immer mehr Menschen stünden nun auf und wehrten sich. „Sie akzeptieren nicht weiter, dass Unternehmen auf ihre Kosten wirtschaften, das Klima ruinieren und Menschenrechte verletzen.“

Ob das Schweizer Gericht den Bewohnern der Insel Pari Recht gibt, bleibt abzuwarten. Doch die Inselbewohner können nicht auf das Ende dieses Rechtstreits warten bis sie handeln. Ihre wirtschaftliche Existenz und ihr Leben auf der Insel sind akut bedroht. Gerade pflanzen sie im größeren Stil Mangroven – so wollen sie einen natürlichen Schutz vor Überflutungen schaffen. Alle auf der Insel wissen, dass das Zeitfenster, um noch etwas retten zu können, nur noch sehr klein ist. Deswegen ist der Fischer Edy Mulyono so entschlossen, all seine Kraft auf die Auseinandersetzung mit dem Konzern im fernen Europa zu konzentrieren. Noch ist es ein Kampf David gegen Goliath. Aber bald könnten es sehr viele Menschen sein, die sich den vier indonesischen Fischern anschließen – in ihrem Kampf gegen den weltweiten Klimawandel.           

Nachrichtenquelle: geo.de

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