Berührungen: Warum wir uns ständig selbst ins Gesicht fassen

Hygieniker, Hautärztinnen und Kosmetikerinnen empfehlen es eindringlich: Wir sollen uns nicht ins Gesicht fassen. Trotzdem tut es jeder Mensch mehrere hundert Mal am Tag. Warum das so ist und welchen Effekt diese Berührungen auf unser Wohlbefinden haben

Wir tun es, wenn wir nachdenken, hochkonzentriert sind oder aber als Ausdruck der Überraschung und Freude: ständig fassen wir Menschen uns ins Gesicht. Die Berührung mit den Händen erfolgt dabei völlig unabhängig des Kulturkreises, Geschlechts oder Alters – sie scheint tief im Innersten des Menschen verwurzelt zu sein.

In den meisten Fällen berühren wir unser Gesicht gänzlich unbewusst – erst, wenn wir gezielt darauf zu achten versuchen, bemerken wir schnell, wie oft unsere Hände die Wangen, das Kinn, die Stirn oder den Mund betasten. Manchmal sind es nur kurze Berührungen, manchmal verweilen unsere Hände für längere Zeit im Gesicht.

Doch warum tun wir das? Welchen Effekt haben die ständigen Berührungen? Schließlich tun wir unserem Immunsystem damit keinen Gefallen. Über die Schleimhäute an Augen, Nase und Mund können Keime leicht in den Körper gelangen, die wir vorher mit unseren Händen an Türklinken oder an Treppengeländern „eingesammelt“ haben.

Selbstberührung hat Auswirkungen auf die Hirnaktivität

Dem Haptikforscher Prof. Dr. Martin Grunwald von der Universität Leipzig zufolge fasst sich jeder Mensch täglich unbewusst 400- bis 800-mal ins Gesicht. Das beginnt bereits im Mutterleib, wenn wir als Fötus noch im Fruchtwasser schwimmen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten beobachten, dass sich die Selbstberührungen eines Fötus häufen, wenn die Mutter traurige oder emotionsgeladene Stimuli verarbeiten muss, also beispielsweise Filme oder Musik, und wenn sich das Stresslevel erhöht.

Ultraschall-Aufnahme eines Fötus im Mutterleib
Schon vor der Geburt berühren Föten im Mutterleib regelmäßig ihr Gesicht
© IMAGO / UIG

Grunwald ist Gründer und Leiter des Haptik-Labors am Paul-Flechsig-Institut für Brainresearch und hat untersucht, wozu diese Berührungen für unseren Organismus gut sind. Gemeinsam mit einem Team hat er dazu zwei Elektroenzephalografie-Studien durchgeführt und dabei die hirnelektrische Aktivität während solcher spontanen Selbstberührungen analysiert.

Bei den Untersuchungen zeigte sich, dass die Hirnaktivität vor und nach einer spontanen Selbstberührung völlig verschieden ist. Eine kurze und spontane Selbstberührung veränderte den Forschenden zufolge die Aktivität des Gehirns in bestimmten Bereichen. „Wir erklären diese Veränderungen damit, dass der kurze Berührungsreiz jene Hirnaktivität verstärkt, die für eine Stabilisierung des emotionalen Zustandes und zu einer Stabilisierung des Arbeitsgedächtnisses verantwortlich ist. Selbstberührungen sind demnach der Versuch des Organismus, nach oder während einer psychischen Irritation wieder einen Zustand der psychischen Balance herzustellen“, so Martin Grunwald.

Wenn das Augenlid verrückt spielt (21534)

Nach Erkenntnissen des Wissenschaftsteams der Universität Leipzig ist die Selbstberührung im Gesicht also vor allem ein Anzeichen für Stress oder Anspannung und hilft dabei, sich besser zu konzentrieren und äußere, irritierende Reize auszublenden. Die Berührung hilft so dem Gehirn, den momentanen Gedächtnisverlust zu verhindern und die psychische Balance wieder herzustellen.

Grunwald stellt aber klar, dass diese Wirkung nur für unbewusste, spontane Berührungen gelte. Mit bewussten Selbstberührungen ließ sich ein messbarer Effekt im Gehirn nämlich nicht simulieren. Es liegt somit in der Natur der spontanen Selbstberührungen, dass sie sich unserer bewussten Kontrolle in der Regel entziehen.

Von dem Versuch, das unbewusste Berühren des Gesichts kontrollieren zu wollen, hält Martin Grunwald nichts: „Dieses Vorhaben kann Stressreaktionen auslösen, die wiederum – natürlich – durch eine spontane Selbstberührung ausgeglichen werden möchten. Das heißt, wenn man sich in einer ohnehin stressreichen gesellschaftlichen Gesamtsituation auch noch auferlegt, sich möglichst nicht ins Gesicht zu fassen, dann befeuert man einen unter Umständen ungesunden Kreislauf.“

Er empfiehlt stattdessen, alles zu vermeiden, was zusätzlichen Stress verursacht. Mentale Kontrollversuche mit dem Ziel einer größeren Hygiene solle man besser für das aktive und intensive Händewaschen nutzen.

Nachrichtenquelle: geo.de

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