Garten: Was die Spanische Wegschnecke zur krisenfesten Superschnecke macht

Alljährlich aufs Neue bringen sie Gartenbesitzer zum Verzweifeln: Bestimmte Nacktschnecken können ganze Gemüsebeete vertilgen, selbst hängende Gefäße sind nicht vor ihnen sicher. Eine weitere schlechte Nachricht: Die Glibbertiere sind klare Klimawandelgewinner

Wenn der sorgsam gezogene Salat über Nacht verschwindet und sich glitzernde Schleimbänder über die Beete ziehen, war wahrscheinlich sie am Werk: die Spanische Wegschnecke. „Das ist eine wahre Superschnecke“, sagt Michael Schrödl von der Zoologischen Staatssammlung München (ZSM). Die bräunlich-rötlichen Tiere können hervorragend klettern. „Hochbeete sind kein Problem für sie.“ Und selbst ein in luftiger Höhe hängendes Gefäß hält sie nicht ab: „Sie seilen sich an den eigenen Schleimfäden dahin ab.“

Gelockt werden sie von Salat und Gemüse, dass sie aus Dutzenden Metern Entfernung riechen können. Zudem erinnern sie sich an die Orte leckerer Mahlzeiten. Eine Spanische Wegschnecke einfach in Nachbars Garten zu werfen, bringt oft wenig: „Wenn es dort nicht auch etwas Leckeres gibt, kommt sie zurück“, sagt Schneckenexperte Schrödl. „Wer diese Schnecke werfend beseitigen will, sollte vorher Weitwurf trainieren.“

Zwei Dutzend Nacktschnecken-Arten in Deutschland

In Deutschland gibt es Schrödl zufolge etwa 300 Schneckenarten, rund zwei Dutzend davon sind Nacktschnecken. „Die Taxonomie ist noch ziemlich unklar.“ Bei den Schnecken mit Gehäuse bieten dessen Färbung und Eigenheiten oft gute Einordnungsmerkmale, bei den variabel geformten und gefärbten Nacktschnecken ist eine eindeutige Zuordnung zu einer Art anhand von Äußerlichkeiten schwieriger. Abhilfe sollen genetische Einstufungen schaffen – bisher gibt es dafür aber noch nicht genug Datensätze, wie Schrödl erklärt.Schnecken gegen Schnecken Artikel

Das Problem zeigt sich auch bei der Spanischen Wegschnecke, Fachname Arion vulgaris, auch Große Wegschnecke genannt. Sie zieht vielerorts ihre Schleimspur – ausgerechnet in Spanien aber nur ganz vereinzelt, wie Forschende in den vergangenen Jahren herausfanden. Anders als lange angenommen wurde sie demnach wohl nicht durch Obst- und Gemüseimporte nach dem Zweiten Weltkrieg von der Iberischen Halbinsel eingeschleppt – der Name führt also in die Irre. Vielmehr lebt sie wohl schon sehr lange zumindest in Südwest-Deutschland, wie Schrödl sagt.

Nach wie vor sei nicht eindeutig geklärt, woher die Art ursprünglich stammt, erklärt Heike Reise vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz. Die Herkunftsregion liege wahrscheinlich irgendwo zwischen Südwest-Europa – etwa dem Südwesten Frankreichs – und dem südwestlichen Zipfel Mitteleuropas, vielleicht dem Südwesten der Schweiz oder Ostfrankreich. Klar ist aber: Seit den 60er-Jahren taucht sie vermehrt und immer weiter nördlich und östlich auf, oft in hohen Dichten. In Norwegen und Schweden sorgt die Art ebenso für Schäden und Probleme wie in Polen.

„Es gibt quasi jedes Jahr neue Rekorde bei der Ausbreitung nach Nord- und Osteuropa“, sagt Schrödl. Anteil an der Verbreitung habe der Transport etwa von Salat, Gemüse und Blumen, erklärt Reise. Oft tauche sie erst an Orten wie Gärtnereien, Friedhöfen oder Lagern für Gartenabfall auf und verbreite sich von dort aus.

Spanische Wegschnecke „ein echtes Raubein“

Verwandten wie der Schwarzen (Arion ater) und der Roten Wegschnecke (Arion rufus) ist ein solcher Siegeszug nicht gelungen. Warum? „Die Spanische Wegschnecke ist ein echtes Raubein“, sagt Schrödl. Trockener Rasen und gekieste Wege mögen für andere heimische Nacktschnecken ein Problem sein, nicht aber für Arion vulgaris. Sie vermehrt sich schneller, frisst mehr und setzt sich notfalls zum Fressen in die pralle Sonne, ohne Schaden zu nehmen. Zudem zeigen Erbgutanalysen, dass sie sich stark mit anderen Arten mischt – und sich auf diese Weise womöglich immer neue günstige Eigenarten für die jeweilige Umgebung aneignet, wie Reise sagt.

Hinzu kommt: Die Schnecke schmeckt nicht. Im Kollegenkreis hat Schrödl allerlei Möglichkeiten ausprobiert, doch auch mit viel Knoblauch oder in Sud eingelegt blieben die Tiere vor allem eines: „bitter“. Wirklich versessen sind nur Indische Laufenten auf Spanische Wegschnecken. Igel, Amseln, bestimmte Laufkäfer, Spitzmäuse, Kröten – alle klassischen Schneckenjäger vertilgen nur Jungtiere der Art. Erstzunehmender Feind ausgewachsener Exemplare ist nur der Gärtner.

Der bekommt es häufig mit den robusten Weichtieren zu tun: In städtischen Kleingärten und Gartenanlagen ist fast nur noch die Spanische Wegschnecke anzutreffen – und das oft in erschreckend großer Zahl. „Die Schnecke wählt schlichtweg die komfortabelste Möglichkeit“, sagt Schrödl. In Städten ist es wärmer als im Umland, der Winter lässt sich leichter überleben. Zudem sorgen gerade Kleingärtner für beste Lebensumstände: Sie gießen ihr Grün allabendlich und sorgen so für Wohlfühlfeuchtigkeit. Jungschnecken vertilgende Tiere wie Igel und Kröten finden sich in Parzellen ohne jeden Wildwuchs kaum. „Arion vulgaris ist ein Profiteur der Einöde in den Gärten.“

Hinzu kommt, dass vielen Gemüsesorten natürliche Abwehrstoffe gegen den Fraß von Schädlingen weggezüchtet wurden, um sie für den Geschmack angenehmer zu machen. Nur werden sie so nicht nur für den Menschen, sondern auch für Schädlinge attraktiver, wie Reise erklärt. „Bitterstoffe zum Beispiel haben ja eine wichtige Funktion, sie schrecken viele Tiere ab, auch Schnecken.“ Schrödl ist ebenfalls überzeugt: „Dieses Rauszüchten spielt ganz sicher eine Rolle.“

Generell allerdings seien gerade Spanische Wegschnecken nicht sonderlich wählerisch, erklärt Reise. „Sie probieren auch gern mal neue Dinge aus.“ Für die Pflanzenwelt einer neu von der Art besiedelten Region kann das fatal sein. Bei einem Wiederansiedlungsprojekt für seltene Pflanzenarten in der Oberlausitz seien viele kleine Sämlinge weggefressen worden, so Reise. In Schweden verändere sich die Zusammensetzung der Kräuter im Wald. „Wenn bestimmte Pflanzenarten stark dezimiert werden, beeinflusst das das gesamte Ökosystem.“

Bis zu 50 Tiere pro Quadratmeter möglich

Verschärft werden die Probleme dadurch, dass Arion vulgaris in viel größerer Dichte vorkommen kann als heimische Arten. „Berichten zufolge sind 50 Tiere pro Quadratmeter möglich“, sagt Reise.

Viel Forschungsbedarf gebe es noch beim Einfluss auf die Tierwelt, sagt Reise. Klar sei, dass die Schnecken kleine Nestlinge von Bodenbrütern, andere wehrlose oder schwer kranke Tiere sowie geschwächte Artgenossen fressen. Zudem verdrängen sie verwandte Arten – im Raum Görlitz habe sich die Rote Wegschnecke in den Jahren nach der Ankunft von Arion vulgaris zunächst stark mit dieser vermischt und sei schließlich ganz verschwunden. Etwas besser sehe es noch für die in Wäldern lebende Schwarze Wegschnecke aus – doch auch hier drohe die komplette Verdrängung. Ganz schlecht sei es darum, Gartenabfälle oder im Garten eingesammelte Schnecken in den Wald zu kippen, betont Reise.

Irgendwann wird sich ein neues Gleichgewicht in den von Arion vulgaris eroberten Lebensräumen einstellen. Wieder verschwinden wird sie gerade im Zuge des Klimawandels so schnell nicht. „Wir werden diese Schnecke nicht mehr los, keine Chance“, so Reise.

Gärtner machen sich die Fresslust oft zunutze, um die Zahl der Tiere zu dezimieren. Lecker finden Nacktschnecken zum Beispiel den potenzielle Nahrung anzeigenden Geruch von Gärstoffen – worauf ihre Vorliebe für Bier beruht, wie Schrödl erklärt. Das Ableben in einer Bierfalle sei wohl der angenehmste Schneckentod – zu empfehlen sei diese Bekämpfungsvariante dennoch nicht. Die verführerisch duftende „Trinkhalle“ locke Schnecken aus der gesamten Umgebung herbei – doch nur ein kleiner Teil von ihnen ertrinke, der Rest mache sich zahlenmäßig verstärkt ans Fressen.

Doch wie sonst wird man die Plagegeister los? Rein gar nichts hält Schrödl davon, Salz auf die Tiere zu streuen. „Das ist so, als bekämen wir Salz in eine offene Wunde.“ Zudem töte Salz gar nicht sicher und verseuche den Gartenboden. Abzuraten sei auch von Schneckenkorn. „Es gibt immer die Gefahr, dass der falsche davon frisst.“ Zwei Wirkstoffe seien zugelassen: Das für Igel und andere Tiere, aber auch Kleinkinder gefährliche Metaldehyd sowie das auch im Biolandbau verwendete Eisen-III-Phosphat. Metaldehyd-Präparate wirkten allerdings nur bei Trockenheit gut und besäßen ebenso wie die mit Eisen-III-Phosphat keinen allzu anziehenden Geschmack für Nacktschnecken.

Nervig, aber auch nützlich

Zu empfehlen sei es vielmehr, nur morgens zu gießen, Beete mit Grenzstreifen aus Sand oder Schneckenzäunen zu umranden und potenzielle Eiablagestellen wie auf dem Boden liegende Bretter regelmäßig zum Austrocknen in die Sonne zu drehen. Oder, für Menschen, die es können: „Ein schneller Schnitt im vorderen Drittel tötet die Schnecken sofort.“ Auch Absammeln sei eine Möglichkeit – doch wohin dann mit dem Schleimgetier? „Auf keinen Fall in die Natur kippen“, betont der Münchner Experte Schrödl. Städtische Hundewiesen hingegen seien ein guter Ort: „Der Kot wird von den Nacktschnecken gefressen.“

Generell ist bei aller Sorge um den Salat nicht zu vergessen: Nacktschnecken sind quasi die Geier der Gärten: Sie beseitigen Kot und Kadaver, bringen die Kompostierung auf Trab und tragen damit zur Gesundheit des kleinen Ökosystems bei, wie Schrödl sagt. „Arion vulgaris mag im Garten nerven, aber sie ist auch super nützlich.“

Nachrichtenquelle: geo.de

Zum Artikel: Garten: Was die Spanische Wegschnecke zur krisenfesten Superschnecke macht

You may also like