Spirituelle Reise: Der spanische Ignatiusweg: Wo Pilger noch einsam wandern

Wie der Jakobsweg vor 50 Jahren ist der Camino Ingaciano. Das sagt ein Baske, der den Weg kennt wie kaum ein anderer. Auf den Spuren des Heiligen Ignatius warten Stille, Leiden – aber auch Genuss.

Langsam fallen die ersten Sonnenstrahlen auf die mächtige Klosteranlage von Loyola im Baskenland. Hinter ihren Mauern direkt neben der Basilika steht das mittelalterliche Herrenhaus, in dem 1491 der Gründer des Jesuitenordens zur Welt kam: der Heilige Ignatius.

Wobei: Lange Zeit seines Lebens war Ignatius alles andere als ein Heiliger. Er galt als Frauenheld, als adeliger Lebemann, er war ein Ritter. Als Ignatius 1521 im Krieg gegen die Franzosen schwer von einer Kanonenkugel verletzt wurde, veränderte sich sein Leben.

Im Krankenbett las er Geschichten von Heiligen. 1522 machte er sich schließlich auf eine Sinn- und Glaubensreise, die ihn quer durch den Nordosten Spaniens von der baskischen Atlantikküste bis nach Manresa bei Barcelona ans Mittelmeer führte.

Auf den Spuren einer spirituellen Reise

Heute, genau 500 Jahre später, kann man seiner spirituellen Reise, die zur Gründung des Jesuitenordens führte, auf einem Weitwanderweg folgen. Entlang des Flusses Urola schlängelt sich der Weg zunächst vom Kloster in Loyola auf ehemaligen Bahnstrecken langsam durch das grüne Tal bis nach Zumarraga. Hoch über dem schmucken Städtchen thront die alte Wallfahrtskirche Santa María La Antigua mit ihrem prachtvollen Deckengewölbe aus Eichenholz.

Am Kircheingang steht Fermín Lopetegui. Der Baske betreut die Kirche und stempelt Pilgerpässe ab. «Hier schlief und betete auch Ignatius auf seinem Weg», sagt er.

Lopetegui war der erste, der 2012 auf dem neuen Ignatiusweg wanderte. «Damals war der Weg nur grob markiert, Schlafmöglichkeiten gab es kaum», erzählt er. Neun Mal ist der 67-Jährige seitdem den 676 Kilometer langen Camino Ignaciano gewandert. Jedes Jahr absolviert der Baske zumindest ein Teilstück. Lopetegui schrieb bereits Bücher über den Weg, führt auf Anfrage auch Gruppen.

Landschaften von Hochgebirge bis Wüstenstrich

Es sind vor allem die unterschiedlichen Landschaften, die den Weg derart reizvoll machen, sagt er. «Vom Hochgebirge über dichte Wälder und Weinregionen bis hin zu Wüstenstrichen und mediterranen Landschaften sieht man auf dem Ignatiusweg einfach alles.» Das Eindrucksvollste sind aber die Stille und Einsamkeit, die man auf diesem Weg genießen kann: «Er ist wie der Jakobsweg vor 50 Jahren.»

Vorbei am Barrendiola-Stausee geht es durch dichte Wälder nun steil hinauf zum Biozkornia-Pass auf über 1200 Meter Höhe. Das Bergkloster von Arantzazu, das nächste Etappenziel, ist nicht mehr weit.

Das spektakulär in einer Bergschlucht liegende Sanktuarium ist so etwas wie das spirituelle Nationalheiligtum der Basken. Der Legende nach erschien hier 1468 einem Hirtenjungen die Madonna.

Wo schon Ignatius übernachtet haben soll

Die alte Wallfahrtskirche, in der Ignatius auf seiner Wanderung betete, gibt es nicht mehr. Nach dem letzten zahlreicher Brände baute man 1959 eine moderne, nahezu avantgardistisch wirkende Basilika mit stacheligen Zwillingstürmen. Die weltberühmten baskischen Bildhauer Jorge Oteiza und Eduardo Chillida gestalteten Fassade und Eisentore.

Der daneben liegende Gasthof Goiko-Benta Ostatua aber, in dem Wanderer heute mit schönen Zimmern und deftigen baskischen Speisen empfangen werden, war bereits seit 1500 Anlaufstelle für Pilger. Die Besitzer beteuern, Ignatius habe hier mit Sicherheit übernachtet.

Xirimiri sorgt für mystische Stimmung

Gleich hinter dem Sanktuarium beginnt eine der schönsten Etappen des Ignatiuswegs. Doch der Morgen ist verregnet. Nebel hängt über der Schlucht. Es wird immer schwieriger, den orangen Wegweisern zu folgen.

Xirimiri nennen die Basken den feinen Nebelregen. Er gibt dem Weg durch die dichten Bergwälder etwas nahezu Mystisches. Oben bei der Schutzhütte von Urbia auf über 1000 Meter weiden halbwilde Kühe und Pferde in der menschenleeren Wiesenlandschaft mitten im Nationalpark Aizkorri-Aratz. Beim Abstieg nach Araia verläuft der Weg im dichten Laubwald einige Kilometer auf dem baskischen Jakobsweg und einer alten Römerstraße, die im Waldboden fast versunken ist.

Durch das spanische Rotweinparadies

Malerische Steindörfer säumen den Weg aus den baskischen Bergen. Getreidefelder dominieren jetzt die Hügellandschaft. Schon von weitem ist in der Ebene zwischen endlosen Weinbergen Laguardia zu sehen.

Die alte Stadtmauer, die Kirche Santa María de los Reyes mit ihrem monumentalen Eingangstor aus dem 14. Jahrhundert, die zahlreichen Weinkeller. Das autofreie, mittelalterliche Wein-Städtchen ist ein wahrer Hingucker und hat sich seit dem letzten Besuch des Heiligen Ignatius wahrscheinlich nicht groß verändert.

Jetzt geht es quer durch Spaniens Rotweinparadies La Rioja. Weinberge, soweit das Auge reicht. In Navarrete schlief Ignatius beim befreundeten Herzog von Nájera, dessen rustikaler Palast heute ein nettes Hotel ist: die Posada Ignatius.

Es wird voller – ein Stück auf dem Jakobsweg

Zwischen Navarrete und Logroño verläuft der Ignatiusweg auf dem Jakobsweg – bloß in entgegengesetzter Richtung. «Nach den einsamen Tagen in den baskischen Bergen ist es ist immer wieder komisch, plötzlich auf so viele Wanderer zu treffen», sagt Imanol Goikoetxea. Mit seinem Unternehmen «Slow Walking» begleitet er Gruppen auf dem Ignatiusweg.

In der Provinzhauptstadt Logroño gibt es zunächst kein Weiterkommen – es duftet einfach zu verführerisch. In den Straßen der Altstadt mit ihrer barocken Kathedrale reiht sich eine Tapas-Wein-Bar an die andere. Ein Ausritt in die Weinberge, Bodega-Besichtigungen, erstklassige Gastronomie – es gibt viel zu erleben.

La Rioja sei ein guter Ort für eine Wanderpause, bevor es in das weite, schattenlose Ebro-Tal und die Wüstenlandschaften Navarras und Aragoniens geht, meint Wanderguide Goikoetxea.

Kurz nach Logroño erreicht man Alfaro mit seiner gigantischen Stiftungskirche, die auch wegen ihrer riesigen Storchenkolonie mit Hunderten von Tieren auf ihrem Dach beeindruckt.

Der Wanderer erreicht in Navarra als erstes die Stadt Tudela mit ihrer mozarabischen Architektur, ihrer romanischen Kathedrale und zahlreichen Pintxo-Lokalen. Pintxos sind eine Art Gourmet-Version der spanischen Tapas. In Tudela sollte man unbedingt einen Tag für einen Fahrrad-Ausflug in die nahe Halbwüste Bardenas freihalten, eine der faszinierendsten Felslandschaften Spaniens.

Die Leiden beim Pilgern

Entlang des Ebros geht es auf dem Ignatiusweg weiter in Richtung Saragossa, der Hauptstadt Aragoniens. Die eindrucksvolle Basilika del Pilar gilt als älteste Stätte der Marienverehrung der Christenheit.

Kurz hinter Saragossa beginnt der härteste Teil des Weitwanderwegs – die Wüstenlandschaft der Los Monegros. Unbarmherzig brennt die Sonne. Eine Steppenlandschaft, es gibt kaum Dörfer, um an Wasser zu kommen. Unweigerlich denkt man in der unwirtlichen Einsamkeit an die Worte Goikoetxeas zurück: «Man muss auf dem Ignatiusweg auch ein wenig leiden. Auch das gehört zum Pilgern.»

Im Hinterland Kataloniens prägen dann Obstbäume und Getreidefelder die nun wieder grüner werdende Landschaft. Anstatt der bisher orangen Wegweiser zeigt nun ein Sonnensymbol den Weg.

Die Provinzhauptstadt Lleida verzaubert mit ihren romanischen Kirchen, Stadtpalästen und ihrer imposanten Kathedrale La Seu Vella aus dem 13. Jahrhundert, die hoch über der Stadt thront.

Eine besondere Art der Gastfreundschaft

Ein wirklich besonderer Ort ist das nächste Etappenziel El Palau d’Anglesola. Das liegt an Francesc Balcells. «Der Kontakt und das Kennenlernen der Einheimischen war für mich immer das Schönste am Ignatiusweg», sagt er. Deshalb gründete der Bürgermeister in der kleinen Gemeinde die Gruppe «Freunde des Wegs».

Sie nehmen die Pilger in Empfang, zeigen ihnen das Dorf, laden sie sogar zu sich nach Hause zum Essen ein. Für fünf Euro kann man in der von ihnen improvisierten Pilgerherberge im Dorf-Schwimmbad schlafen. Das kostenlose Bad ist nach dem Wandern ein wahrer Genuss.

Das nächste Etappenziel ist sehr wichtig für den Jesuitenorden. In Verdú kam 1580 der Jesuiten-Heilige Petrus Claver zur Welt, der Verteidiger der schwarzen Sklaven.

Sein Geburtshaus ist heute teils eine Pilgerherberge. Das mittelalterliche Schmuckstück mit seiner Festung, Weinkellern und zahlreichen Kirchen ist umgeben von Weinbergen und Olivenbäumen.

Übernachtung im Kloster mit Ausblick

Die gezackte Bergsilhouette von Montserrat ist schon von weitem zu sehen. Der Aufstieg zum Bergkloster führt durch atemberaubende Natur, ist aber auch schweißtreibend: 27 Kilometer und 1300 Höhenmeter. Drei Tage legte Ignatius hier vor der «schwarzen Madonna» seine Beichte ab, verzichtete endgültig aus sein vorheriges Leben.

Das aus den Felsen wachsende Bergkloster ist ein magischer Ort. Sobald die Tagestouristen wieder nach Barcelona verschwinden, haben Pilger, die hier in Herbergen schlafen können, das Kloster mitsamt der Panorama-Ausblicke nach den allabendlichen Gesangsmessen der Mönche für sich alleine.

Angekommen in Manresa

Die letzte Etappe steht an, 25 Kilometer sind es noch bis zum Endziel des Weges. Vorbei an der Einsiedelei Santa Cecilia führt der Weg vom Berg Montserrat hinab nach Manresa.

Über die mächtige Steinbrücke aus dem 12. Jahrhundert betrat bereits der Heilige die Stadt. «Hier lebte Ignatius fast ein Jahr, bettelte um Almosen für die Armen, meditierte und schrieb in dieser Höhle seine Erfahrungen der Wanderschaft und die Exerzitien», sagt Jesuitenpater José Luis Iriberri.

Kapellen, das ehemalige Krankenhaus Santa Lucía, die Kathedrale mit Kataloniens größtem gotischen Altar: Es gibt zahlreiche Orte in Manresa, an denen Ignatius wirkte.

Der wichtigste ist aber die Höhle am Flussufer, in der er die Exerzitien schrieb. Eigentlich handelt es sich dabei eher um einen Felsvorsprung. Drumherum haben die Jesuiten ein gewaltiges Kloster gebaut, in dem auch eine Sandale, persönliche Gegenstände und ein Schriftstück vom Heiligen Ignatius ausgestellt werden.

Die Exerzitien – oder geistlichen Übungen – bilden heute den Grundstein des Jesuitenordens, dem auch Papst Franziskus angehört. Das sagt Pater Iriberri, während er mir die Ignaciana ausstellt. Das Pilger-Zertifikat bekommt jeder, der mindestens 100 Kilometer des Wegs zu Fuß oder 200 Kilometer per Fahrrad zurückgelegt hat.

Die einsame Alternative zum bekannten Pilgerweg

Iriberri leitet nicht nur das zentrale Ignatius-Pilgerbüro, sondern konzipierte auf Basis historischer Dokumente auch den erst vor zehn Jahren eröffneten Ignatiusweg.

«Der Weg stellt eine interessante Alternative zum Jakobsweg dar», sagt der Pater. «Du folgst hier einem historischen Weg und lernst auf ihm eine historische Person kennen. Auf dem Jakobsweg gehst Du nur zu einem Grab. Der Apostel Jakob pilgerte niemals nach Santiago de Compostela.»

Iriberri sagt weiter: «Der Ignatiusweg steckt noch in den Kinderschuhen und bietet einsame Naturerlebnisse und Stille für Ruhesuchen.» Die Zahlen verdeutlichen, was er damit meint: 2019, im letzten Jahr vor der Pandemie, erreichten nur 2500 Pilger Manresa. Den Jakobsweg machten im selben Jahr 350.000.

Nachrichtenquelle: geo.de

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