Klimawandel: Warum der Protest der "Letzten Generation" so seltsam deplatziert wirkt

Die „Letzte Generation“ polarisiert mit ihren Aktionen. Nun protestieren sogar Grünen-Politiker gegen den Protest. Dabei sind die Forderungen der jungen Leute eigentlich selbstverständlich

Unsere Emissionen sind absurd hoch, und uns bleiben nur noch wenige Jahre, sie herunterzufahren, um eine unkontrollierbare Klimakrise abzuwenden. So sehen die Aktivist*innen der „Letzten Generation“ die Lage. Sie können sich dabei auf wissenschaftliche Befunde stützen. Aber gegen wen protestiert man nun? Und was, wenn sich nichts ändert – oder nicht schnell genug?

Millionen Menschen auf der Straße haben, das war die ernüchternde Erkenntnis der Fridays-for-Future-Bewegung, auf der politischen Ebene kaum etwas bewirkt. Lange hallte das Bonmot nach, das Angela Merkel den aufgebrachten Klimaaktivisten fast mitleidig mit auf den Nachhauseweg gab: „Politik ist das, was möglich ist.“

Aus soziologischer Sicht ist es nur folgerichtig, dass sich viele der Menschen, die sich um zukünftige Generationen sorgen, resigniert zurückziehen – während ein kleinerer Teil neue Protestformen ausheckt, die den Betrieb stören, die wehtun, die öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen: Sie kleben sich mit Sekundenkleber und Bauschaum an den Asphalt von Autobahn- und Hafenzufahrten. Das ist nun zwar aufmerksamkeitsstark, wirkt aber auch seltsam dysfunktional.

Scharfe Ablehnung bei Grünen-Politikern

Nicht nur empörte Autofahrer*innen machen, auch unter Verweis auf medizinische Notfälle im künstlich verursachten Stau, ihrem Ärger Luft. Selbst Grünen-Politiker greifen die Straßenblockierer ungewöhnlich scharf an. So sagte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir kürzlich: „Ganz wenige“ würden gerade „mit Lärm dazu beitragen, Mehrheiten für den Klimaschutz zu gefährden“. Damit spielten sie letztlich „den reaktionären Kräften in die Hand, die eben gerade keinen Klimaschutz wollen“. Noch strenger wurde BaWü-Landesvater Winfried Kretschmann, der schlicht von „schweren Rechtsverletzungen“ sprach, die man nicht rechtfertigen könne.“

Dass die ehemalige Protestpartei den Protest so scharf verurteilt, ist an sich schon bemerkenswert. Schließlich bezweifelt doch kaum jemand, dass unser Lebensstil, unser Konsum und unser Wirtschaftssystem nicht zukunftsfähig sind. Aus wissenschaftlicher Sicht ist unstrittig, dass grundlegende, um nicht zu sagen: radikale Veränderungen innerhalb weniger Jahre erfolgen müssen, um eine völlig unberechenbare Klimakrise jenseits von 1,5 Grad Erwärmung noch abzuwenden. Die Trägheit, mit der die menschlichen Gesellschaften auf extrem stürmische Zeiten zusteuern, kann niemanden kalt lassen. Schon gar nicht in der Grünen-Partei.

Für den Klimaschutz sind alle. Bis es an Maßnahmen geht

Und Cem Özdemir muss sich fragen lassen, was er eigentlich mit „Mehrheiten“ meint. Denn für einen besseren Klimaschutz sind ja irgendwie alle. Bis es an konkrete Veränderungen geht – mit denen in der Regel nicht „anders“, sondern „weniger“ gemeint sein muss. Was, nebenbei bemerkt, in einer Gesellschaft, die der Ideologie einer unaufhörlichen Steigerung, eines unerschöpflichen Wachstums huldigt, immer noch ein Ding der Unmöglichkeit ist.Grüner Bereich

Es ist wahr: Erpressung ist kein legitimes Mittel in einer Demokratie. Auch dann nicht, wenn es um Tempo 100 auf Autobahnen gehen sollte oder um mehr gut bezahlte Jobs an Schulen, in Pflegeheimen und Krankenhäusern. Man kann sich auch darüber mokieren, dass der Protest der „Letzten Generation“ asymmetrisch sei, dass er die Falschen treffe. Nur: Wer ist denn der oder die Richtige? Und wer stellt sich jetzt hin und erklärt den jungen Leuten, dass die demokratisch verfassten Gesellschaften augenscheinlich zu träge sind, um die Schäden zu begrenzen, die sie verursacht haben und weiterhin verursachen? Dass es ohnehin zu spät ist, einen gefährlichen Klimawandel zu verhindern? Denn was die „Letzte Generation“ vor allem will, das darf man getrost unterstellen, ist: Ehrlichkeit.

Man kann über das Wie streiten. Doch wer das Motiv der jungen Leute anzweifelt oder ausblendet, ist nicht ehrlich.

Nachrichtenquelle: geo.de

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