Interview: Wie ein Jurist vor 20 Jahren den Tierschutz ins Grundgesetz brachte

Seit dem Jahr 2002 schützt der Staat laut Verfassung auch Tiere. Für diese Grundgesetzänderung waren zwölf Jahre Arbeit notwendig. Die treibende Kraft: der Jurist Eisenhart von Loeper. Wir sprachen mit ihm über einen juristisch-politischen Kraftakt – und was er gebracht hat

GEO.de: Herr von Loeper, seit dem 1. August 2002 lautet der Artikel 20a des Grundgesetzes: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere …“. Neu waren die drei Wörter „und die Tiere“. Warum war diese Änderung wichtig?

Eisenhart von Loeper: Im Grundgesetz galt bis dahin zwar die staatliche Schutzpflicht für die natürlichen Lebensgrundlagen. Und viele hielten uns entgegen, das umfasse auch die Tiere, die Ergänzung des Grundgesetzes sei also unnötig. Das stimmt aber nicht, weil das Tier als Individuum wie wir schmerz-und leidensfähig ist, ganz anders als Wasser, Luft und Boden. Geschieht den Tieren schweres Unrecht, ist das Mitgefühl des Menschen also ganz anders angesprochen, als wenn es nur um Existenzgrundlagen allgemeiner Art geht.

Sie gelten als die treibende Kraft hinter der Änderung. Wie fängt man so ein Unterfangen an?

Auslöser war 1989 der tief bewegende, friedliche Fall der Mauer. Der Weg zur deutschen Einheit mit der ehemaligen DDR erschien greifbar. Aber das erforderte auch, die Präambel des Grundgesetzes zu ändern. Angesichts des Artensterbens und der Vermüllung der Meere, um nur zwei Beispiele zu nennen, lag mir daran, den günstigen Moment zu nutzen, um in der Präambel die „Bewahrung der Schöpfung“ und dazu konkret den Schutz der Tiere als Mitgeschöpfe zu ergänzen.

Eisenhart von Loeper (* 1941) wurde 2005 für seine Verdienste um den Tierschutz mit dem Verdienstkreuz am Bande ausgezeichnet
Eisenhart von Loeper (* 1941) wurde 2005 für seine Verdienste um den Tierschutz mit dem Verdienstkreuz am Bande ausgezeichnet
© privat

Allein ist so ein Projekt sicher nicht zu stemmen …

Ich war seit 1987 Vorsitzender des Bundesverbandes der Tierversuchsgegner und hatte die Unterstützung von Tier- und Umweltschutzverbänden, von Prominenten wie Loriot, Senta Berger, Will Quadflieg, Richard von Weizäcker. Wir hatten Hunderttausende Unterschriften gesammelt, es war Thema in mehreren Bundespressekonferenzen. Es war eine wunderbare Bürgerbewegung, über zwölf Jahre hinweg.

Im Jahr 1994 scheiterte im Bundestag der erste Anlauf, den Schutz der Tiere in die Präambel und den Artikel 20a aufzunehmen …

Wir erweiterten unsere Offensive im „Zangenangriff“ auf die Länderebene – wo wir den Tierschutz mehr und mehr in Landesverfassungen integrieren konnten. Und wir zeigten im Diskurs auf Bundesebene durch tierquälerische Beispiele, wie sehr das Tierschutzgesetz versagte. Das lag eben daran, dass im Grundgesetz „kein Platz für Tiere“ war, während die Freiheiten von Wissenschaft, Kunst und Religion vorbehaltlos gesichert waren, was Tierschutz in vielen Fällen vereitelte …

… Im Jahr 2002 erlaubte das Bundesverfassungsgericht das Schächten, also das betäubungslose Schlachten – mit dem Hinweis auf die im Grundgesetz verankerte Berufs- und die Religionsfreiheit …

Das empörte auch weite Kreise im konservativen Lager. Hinzu kam, dass sich im Jahr 2002 nicht nur die Mehrzahl der Bundesländer, sondern mit Edmund Stoiber auch der damalige Kanzlerkandidat von CDU und CSU sich für eine Aufnahme des Tierschutzes in die Bayerische Verfassung aussprach. All das zusammen gab den Ausschlag.

Seit 20 Jahren schützt der Staat nun laut Grundgesetz die Tiere. Doch Massentierhaltung und Tierversuche sind nicht abgeschafft. Wecken Staatsziele Erwartungen, die nicht erfüllbar sind?

Leider hat der eindeutige Verfassungsauftrag für die Tierethik keinen „Ruck“ zur entsprechenden Änderung der einfachen Gesetze ausgelöst. Auch Gerichte und Behörden haben nur in Einzelfällen entschieden. Es fehlte die flächendeckende Umsetzung. Es gab nur Trippelschritte. Das ist bitter. Immerhin kam es aber durch die Grundgesetzänderung zum Verbot des Kükenschredderns, weil der Selbstwert des Tieres als Mitgeschöpf nun höher wiegen muss als rein wirtschaftliches Kalkül. Auch haben einzelne Gerichte das Aufdecken von Tierschutzskandalen durch Undercover-Aufnahmen erleichtert. Es braucht aber weitaus mehr.

Wie sehen Sie in die Zukunft? Was kann den Tierschutz voranbringen?

Der Gedanke der Tierrechte stand schon am Beginn der Menschenrechte. Jean-Jacques Rousseau und Jeremy Bentham haben vorausgesagt, der Tag werde kommen, „an dem auch den übrigen Geschöpfen die Rechte gewährt werden, die man ihnen nur durch Tyrannei vorenthalten konnte“, wie Bentham 1789 schrieb. Heute zwingt uns schon der gesetzlich verankerte Klimaschutz zu einer weitreichenden Umstellung im Agrar- und Umweltsektor. Gleichzeitig bringt ein starkes bundesweites Netzwerk für Tierrechte den Tierschutz „von unten“ voran. Hoffentlich mit Erfolg, denn unser Menschsein braucht die gelebte Symbiose mit den Tieren, den Ausgleich von Menschen- und Tierrechten. Nur so, in einem neuen, gelebten Grundkonsens, werden wir vor diesen Geschöpfen und vor uns selbst bestehen können.

Nachrichtenquelle: geo.de

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