Schadstoffe: Die unsichtbare Gefahr: Wie Umwelthormone uns krank machen können

Jedes mal, wenn wir eine Konserve nutzen oder uns mit herkömmlichem Shampoo die Haare waschen, gelangen Schadstoffe in unseren Körper. Die Journalistin Katharina Heckendorf hat sich mit diesen Schadstoffen, auch Umwelthormone genannt, intensiv beschäftigt und ein Buch darüber geschrieben. Im Interview erklärt sie, was sich dahinter verbirgt und wie Umwelthormone uns schaden können

GEO.de: Was sind Umwelthormone eigentlich genau. Können Sie uns das kurz erklären?

Katharina Heckendorf: Umwelthormone sind Schadstoffe. Sie sind so ähnlich aufgebaut wie Hormone und können dem Körper dadurch vorgaukeln, dass sie echte Hormone seien. Die Schadstoffe binden sich beispielsweise an Rezeptoren in unserem Körper, die eigentlich für Hormone vorgesehen sind und können so schädliche Wirkungen hervorrufen. In der Fachsprache heißen sie endokrine Disruptoren. Ich habe mich in meinem Buch dazu entschieden, den gebräuchlichen Begriff Umwelthormone zu nutzen, auch wenn er etwas unpräzise ist. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass es 800 dieser Schadstoffe gibt. Was auch noch wichtig zu wissen ist: Der größte Teil dieser Chemikalien ist menschengemacht und kommt nicht natürlicherweise in der Umwelt vor.

Warum genau sind Umwelthormone ein Problem für uns Menschen?

Fast alles, was in unseren Körpern passiert, wird von Hormonen gesteuert – das sind tausende Prozesse Tag für Tag. Wenn Umwelthormone in dieses komplexe Botensystem eingreifen, kann es zu Schäden führen. Hormone sind im Körper normalerweise für die Fortpflanzung, den Stoffwechsel oder auch die Entwicklung von Babys im Mutterleib verantwortlich, docken sich aber die Schadstoffe statt der Hormone an unsere Rezeptoren an, können sie wichtige Botschaften abschwächen, blockieren oder auch verstärken. 

Haben Sie dafür ein Beispiel?

BPA, ein Bisphenol, ist den weiblichen Geschlechtshormonen ähnlich. Es wurde sogar in den Dreißiger Jahren als künstliches Östrogen erforscht. Eingesetzt wurde es aber letztendlich in der Plastikproduktion. Studien zeigen heute unter anderem, dass BPA die Fruchtbarkeit von Männern und Frauen auf viele Arten schädigen kann. Menschen mit einer hohen Konzentration von BPA im Blut neigen eher zu einem höheren Körpergewicht und BPA steht zudem im Verdacht, Diabetes zu begünstigen.

Box Katharina

Spielt die Dosis der Schadstoffe eine Rolle, oder in welcher Lebensphase wir ihnen ausgesetzt sind?

Ab welcher Dosis diese Schadstoffe für Menschen gesundheitliche Folgen haben können, ist nicht klar. Schon kleinste Dosen können Effekte haben, und ihre Auswirkungen sind auch davon abhängig, in welcher Lebensphase man ist: Zum Beispiel sind Föten im ersten Trimester der Schwangerschaft besonders empfindlich, weil über die Plazenta die Hormone zum Kind kommen und dafür sorgen, dass sich das Gehirn, die Gliedmaßen und die Geschlechtsorgane richtig entwickeln. Kommt der Fötus in dieser Lebensphase mit Umwelthormonen in Kontakt, sieht es Studien zufolge danach aus, dass es zum früheren Einsetzen der Pubertät bei den Kindern führen kann, dass das Risiko für Krebsarten wie Brust-, Prostata- oder Hodenkrebs erhöht ist. Auch die Ausbildung der Geschlechtsorgane kann beeinträchtigt sein, das kann bis hin zur Unfruchtbarkeit führen. Wie groß die gesundheitlichen Folgen sind, macht eine Schätzung des US-Forschers Leonardo Trasande deutlich: Er geht davon aus, dass in der EU pro Jahr Krankheitskosten in Höhe von 163 Milliarden Euro durch endokrine Disruptoren anfallen.

Und wie problematisch sind die endokrinen Disruptoren für die Umwelt?

In der Umwelt ist das Problem vielleicht sogar noch erheblicher: Die Schadstoffe gelangen zum Beispiel über das Abwasser, Pestizide oder auch Müll zum Teil ungefiltert in die Umwelt. Tiere sind den Schadstoffen noch direkter als Menschen ausgeliefert. In der Forschung wird schon seit Jahren darüber berichtet, dass es etwa bei Fischen, Alligatoren und Meeresschnecken zu einer Verweiblichung kommt. Heißt: Die Umwelthormone stehen in Verdacht, zu Reproduktions- und Entwicklungsstörungen zu führen.

Widget Umwelthormone

Wie gravierend die Auswirkungen der Umwelthormone in der Umwelt sind, wird deutlich, wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass in Ökosystemen alles aufeinander aufbaut und voneinander abhängt. Ein Beispiel: Im Clear Lake in den USA sind in den Fünfziger Jahren massenhaft Renntaucher (Wasservögel, die sich von Fischen ernähren) gestorben. Zunächst konnte sich dies keiner erklären. Bis der Verantwortliche gefunden wurde: Das Insektizid DDD. Es wurde in das Wasser des Sees eingeleitet, um Mücken zu bekämpfen. Die Folge: Die Renntaucher fraßen die Fische, in denen sich der Schadstoff angereichert hatte. Das Pestizid wirkte sich auf ihre Fruchtbarkeit und die Entwicklung der Tiere aus, und sie starben in Massen. Denken wir dies weiter, merken wir schnell: Wir sind auch Teil der Natur und auch wir nehmen beispielsweise durch die Nahrung diese Schadstoffe auf, wenn nicht der Renntaucher, sondern wir den mit Schadstoffen angereicherten Fisch essen.

Wo genau stecken überall Umwelthormone drin?

Am Anfang meiner Recherche dachte ich noch, dass es hauptsächlich um Plastik geht, doch schnell habe ich gemerkt, dass es keine Produktgruppe gibt, die keine Schadstoffe enthalten kann. Sie stecken in Matratzen, Baumaterialien, Kosmetika, Putzmitteln oder Lebensmitteln. Die Umwelthormone gelangen über die Nahrung, über den Atem oder die Haut in den Körper. Die Schadstoffe sind nicht für immer in Verpackungen oder Kleidung gebunden, sie lösen sich zum Beispiel durch Bewegung oder Abrieb.

Die Umwelthormone sind also in jedem unserer Lebensbereiche. Wo fange ich am besten an, wenn ich mit möglichst wenigen Substanzen in Berührung kommen will?

Ich würde bei den Lebensmitteln anfangen, weil wir damit direkt in Berührung kommen. Sie können durch Pestizide belastet sein oder durch Stoffe, die sich aus Verpackungen ausgelöst haben und in die Lebensmittel übergegangen sind. Deshalb sollten wir möglichst Bio-Lebensmittel einkaufen und das im Idealfall unverpackt. Ich würde Konserven vermeiden und eher zu Glasverpackungen greifen. Manche Plastiksorten sind schädlicher als andere. Das lässt sich an den Recyclingcodes auf den Verpackungen erkennen. Es gibt einen englischen Merksatz, der sich auf die Zahlen im Dreieck bezieht: 4, 5, 1 and 2 – all the rest are bad for you! (auf Deutsch: 4, 5, 1 und 2 – alle anderen sind schlecht für dich!) So lassen sich zumindest die schädlichsten Plastiksorten verbannen.

Schadstoffampel für Obst und Gemüse aus konventionellem Anbau nach einer Zusammenstellung der Organisation PAN Europe:

Besser in Bioqualität kaufen (Rote Liste)

Nur selten aus konventionellem Anbau kaufen (Gelbe Liste)

Auch aus konventionellem Anbau recht wenig mit Schadstoffen belastet (Grüne Liste)

Feldsalat

Baby-Blattgewächs

Petersilienwurzel

Johannisbeeren

Birnen

Grünkohl

Pfirsiche

Erdbeeren

Aprikosen

Äpfel

Karotten

Blaubeeren

Bananen

Bohnen

Himbeeren

Knollensellerie

Spinat

Tafeltrauben

Radieschen

Pflaumen

Tomaten

Petersilie

Kiwi

Kopfsalat

Brombeeren

Paprika

Orangen

Avocados

Reis

Oliven

Zwiebeln

Zucchini

Salatgurken

Mangos

Knoblauch

Mais

Kartoffeln

Blumenkohl

Aubergine

Mandarinen

Wassermelonen

Getreide

Weisskohl

Ananas

Brokkoli

Welche drei Schadstoffe sollte jede*r aus dem Alltag verbannen?

Das möchte ich mit Blick auf das Biomonitoring des Umweltbundesamtes beantworten. Dort wurde von 2014 bis 2017 untersucht, welche Schadstoffe sich im Urin und im Blut von Kindern und Jugendlichen befinden. Auffällig waren Weichmacher, die zum Beispiel in Kabeln oder PVC-Böden stecken, Parabene, die hauptsächlich aus Kosmetika stammen; und BPA, das in der Plastikproduktion eingesetzt wird, dazu die Chemikalien PFOA und PFOS, die etwa in der Beschichtung von Pfannen oder Outdoor-Bekleidung vorkommen. Diese Schadstoffe sollten wir besonders im Blick haben. Sie als Verbraucher*in von heute auf morgen zu verbannen, ist aber unmöglich.

Wie können Verbraucherinnen und Verbraucher erkennen, ob in der Jacke oder dem Putzmittel Umwelthormone enthalten sind?

Das ist sehr schwierig, weil ich endokrine Disruptoren nicht sehen oder schmecken kann. Im Alltag helfen dann nur Daumenregeln, weil bei vielen Produkten nicht aufgelistet ist, welche Chemikalien darin enthalten sind. Eine solche Daumenregel wäre etwa: Weil für den Anbau von Bio-Lebensmitteln keine Pestizide eingesetzt werden dürfen, enthalten sie aller Wahrscheinlichkeit nach weniger Umwelthormone als konventionell angebautes.

Bei Kosmetika können Verbraucher*innen theoretisch alle Stoffe nachlesen, die in der Creme oder dem Deo stecken – das ist im Alltag allerdings eher nicht praktikabel. Apps wie Codecheck oder Tox Fox zeigen beim Scannen des Barcodes bedenkliche Stoffe an. Tendenziell würde ich eher zu Naturkosmetik greifen, weil einige umstrittene Inhaltsstoffe dort nicht verwendet werden dürfen. Die Apps funktionieren auch bei Putzmitteln. Eine andere Möglichkeit: Putzmittel aus Soda, Zitronensäure, Kernseife und Natron selbst herstellen. Bei einer Jacke wird es jedoch schwieriger. Ich kann auf Siegel achten, die eine ökologische Produktion bescheinigen. Ich weiß aber trotz Siegeln nicht, ob für eine regenabweisende Beschichtung nicht doch langlebige Umwelthormone eingesetzt wurden.

Im Spielfilm „Dark Waters“ wird die wahre Geschichte des Anwalts Rob Bilott erzählt, der sich mit einer riesigen Chemiefirma in den USA anlegt. Schnell wird klar, dass irgendein Stoff das Wasser rund um die Produktionsstandorte der Firma kontaminiert haben muss: PFOA, eine langlebige Chemikalie. Im Film wird gezeigt, wie die Menschen rund um den Produktionsort gesundheitliche Probleme bekommen, Umwelt und Tiere leiden. Doch Jahrzehnte passiert nichts. PFOA wurde weiter benutzt, um die Chemikalie PTFE herzustellen, das unter anderem für die Beschichtung von Pfannen genutzt wird. In der EU ist die Herstellung von PFOA seit Juli 2020 verboten. Verpassen es Gesetzgeber, Verbraucher*innen zu schützen?

86 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland haben den Stoff PFOA laut der Studie des Umweltbundesamtes im Urin. Ich kenne den Film nicht, finde es aber gut, dass der Stoff verboten ist. Doch: In der EU ist die Herstellung zwar verboten, durch Importe kann PFOA allerdings weiter nach Europa kommen. Machen wir uns nichts vor, wir werden solche langlebigen Stoffe noch lange in unseren Körpern finden. Für mich ist ein zentrales Problem der Gesetzgebung, dass jetzt etwa PFOA verboten ist, aber andere Stoffe weiter erlaubt sind. Es gibt zahlreiche Chemikalien die PFOA sehr ähnlich sind. PFOA wird also durch eine dieser Substanzen ersetzt. Ob diese unbedenklich sind, wissen wir allerdings nicht.

Bei BPA war es beispielsweise so, dass diese Chemikalie in Babyfläschchen innerhalb der EU verboten wurde und von Firmen durch BPS oder BPZ ersetzt wurde. Erste Studien zeigen, dass BPS und BPZ wahrscheinlich genauso schädlich sind wie BPA. In der Gesetzgebung sollte also nicht mehr nur ein Stoff verboten werden, sondern besser Stoffgruppen – wie in diesem Fall die Bisphenole. Das wurde in der EU-Chemikalien-Strategie auch 2020 auf die Agenda gesetzt.

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Gemessen daran, wie lange man schon um das Problem der Umwelthormone weiß, nämlich seit den 1990er Jahren, gibt es meiner Meinung nach verhältnismäßig wenige Gesetze, die uns schützen. Außerdem ist es für Verbraucher*innen sehr schwer herauszufinden, wo diese Umwelthormone enthalten sind. Hier würde ich mir eine sehr viel mutigere Gesetzgebung wünschen.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach dringend ändern?

Verbraucher*innen müssten im ersten Schritt in Kampagnen informiert werden, damit sie wissen, was Umwelthormone sind, wie sie wirken und wie sie diese im Alltag vermeiden können. Außerdem müsste es leichter erkennbar sein, in welchen Produkten Umwelthormone enthalten sind. Das könnte über Labels gelöst werden, die anzeigen, dass in einem Putzmittel beispielsweise keine Umweltgifte stecken.

Nachrichtenquelle: geo.de

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