Tierrechte: Kriminalbiologe Mark Benecke über das Artensterben: "Wir sind mitten im Armageddon"

Mark Benecke ist nicht nur Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe. Er ist auch Politiker, Wissenschaftsvermittler und Schauspieler. Im GEO.de-Interview erzählt er, warum er Fauchschaben gut findet – und wie die vegane Lebensweise das Artensterben stoppen kann

Herr Benecke, als Kriminalbiologe haben Sie von Berufs wegen viel mit dem Tod zu tun. Und Sie leben vegan. Gibt es da irgendeine Verbindung?

Mark Benecke: Ich glaube nicht. Die Kollegen und Kolleginnen, die ich weltweit kenne, interessieren sich nicht für Tierrechte. Ich frage mich allerdings, wie Menschen überhaupt damit leben können, dass Tiere getötet werden: Die einen streicheln sie und die anderen essen sie.

Über die Beziehung zwischen Menschen und anderen Tieren haben sich Philosophen und Rechtsgelehrte den Kopf zerbrochen. Sie fordern nun ganz schlicht, dass wir „Tiere einfach mal in Ruhe lassen“. Was heißt das konkret?

Ich meine damit, dass Tierprodukte generell nicht mehr verwendet werden sollen. Natürlich muss es vorübergehend Ausnahmen geben, zum Beispiel bei der Entwicklung von Impfstoffen. Aber es gibt mittlerweile Verfahren, medizinische Tests an Zellgewebe statt an lebenden Tieren durchzuführen. Wenn man das Geld, das in Tierversuche gesteckt wird, und das sind unfassbare Summen, in die Entwicklung von tierfreien Versuchsverfahren investiert, dann könnte man auf die meisten Tierversuche verzichten. Der zweite Punkt ist, dass unsere Erde durch die Verwendung von Tierprodukten genau jetzt, vor unseren Augen, zerstört wird. Das ist keine Meinung, sondern schon seit 50 Jahren bekannt, spätestens seit dem Bericht „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome. Ein Beispiel: Ein Großteil des weltweit angebauten Sojas wird an Tiere verfüttert. Das ist hirnverbrannt, weil dadurch Regenwald vernichtet wird. Die am schnellsten wirkende Maßnahme, um den Wasser- und Flächenverbrauch einzudämmen, ist eine tierfreie Ernährung.

Und was ist mit der Moral?

Über Tierleid muss man hoffentlich nicht mehr reden, also dass die Tiere in Massenzuchtanlagen nicht gefoltert werden sollten. Ich glaube, die Bilder hat jetzt jeder und jede schon mal gesehen. Wir sollten Tiere als Co-Lebewesen auf der Erde wahrnehmen, die einfach nur ihr Ding machen. Manchmal können Menschen und Tiere auch zusammen arbeiten, Blindenhunde sind so ein Beispiel. Da gibt es die – ganz ernste – Idee, dass sie durch ihre Arbeit für uns auch Rentenansprüche erwerben. Aber abgesehen von solchen Fällen, sehe ich nicht einen einzigen Grund, weder als Biologe noch aus sonstiger Sicht, warum man Tiere oder Tierprodukte für Menschen einsetzen sollte.

Brauchen Tiere Rechte?

In der Welt, in der wir leben, in der man alles vor Gerichten ausfechten muss, wird das wohl der Weg zum Ziel sein. Darum verstehe ich die Tierrechts-Idee und unterstütze sie. Allerdings wissen wir aus Zehntausenden sehr guter Veröffentlichungen, dass wir nur im Zusammenspiel der freien Lebewesen die Erde für Menschen bewohnbar halten können. Und wir sind, was das Artensterben betrifft, mitten im Armageddon. Als Biologe muss ich darum ein bisschen schmunzeln, dass Tiere Rechte bekommen sollen, damit wir unsere eigenen Lebensgrundlagen erhalten. Das wäre ja so, als würde ich Eltern sagen, ihre Kinder müssten das Recht auf Getränke haben. Das versteht sich doch wohl von selbst.

Sie sind auch politisch aktiv – als Landesvorsitzender der PARTEI in NRW. Wie kommt der gesellschaftliche Wandel in Gang? Durch politisches Engagement, durch gülleverseuchtes Grundwasser oder durch Aktionen à la Extinction Rebellion?

Es geht nur durch irgendeine Form der Einsicht, und die muss zu jeder und jedem passen. Man kann die Menschen nicht durch Regeln ändern, auch nicht durch Politik. Politik ist ja nur Ausdruck davon, wie die Menschen sind, und nicht umgekehrt. Was wir brauchen, ist ein Verständnis dafür, dass alle Lebewesen miteinander in Berührung stehen müssen, damit biologische Kreisläufe funktionieren. Das ist keine Hoffnung, kein Wollsocken-Traum, kein Wunsch – sondern die knallhart bewiesenste Tatsache, die es gibt.Brauchen wir Tierischesfür unsere Gesundheit?

Sie haben im vergangenen Jahr mit der Illustratorin Kat Menschik ein „illustrirtes Thierleben“ vorgelegt. Darin widmen Sie den Silberfischchen ein eigenes Kapitel. Warum?

Silberfische sind mit ihrem silbrigen Glanz und ihrer schüchternen Lebensweise ganz bezaubernde Tiere. Sie sind einfach da, stören niemanden und machen ihre Party. Und wenn du das Licht anmachst, zack – sind sie weg. Sie sind völlig harmlos. Was ich besonders wichtig finde: Ich habe die gesamte alte Literatur dazu durchgesehen, bis ins 16. Jahrhundert, und nirgendwo wurden sie als eklig oder gruselig beschrieben.

Ich habe gelesen, Sie halten sich Fauchschaben. Was macht die besonders?

Ich finde die gut, und außerdem sind sie die pflegeleichtesten Wesen, die ich kenne. Im Lauf der Jahre habe ich ein Gespür dafür bekommt, was sie brauchen und was nicht. Wenn man die ihr Ding machen lässt und nicht ständig was reinschüttet und irgendwelche Pflegemaßnahmen ergreift, dann hat man irgendwann wunderschöne, glänzende und glückliche Tiere. Die Männchen fechten ihre nächtlichen Kämpfe aus, und die Weibchen sehen sich das an und lachen darüber. Es ist abgefahren, zu beobachten, wie sie sich betasten oder verstecken, je nach Stimmung.

Fauchen die eigentlich wirklich?

Jaja.

Und warum?

Wenn sie sich über irgendetwas aufregen. Aber das muss nichts Schlechtes sein. Es kann gute oder schlechte Aufregung sein.

Apropos Tierrechte: Darf man Fauchschaben eigentlich einsperren?

Das überlege ich auch manchmal. Ich müsste sie dann an einen Ort bringen, an dem sie gut überleben können. So etwas gibt es ja für befreite Zootiere, Affen oder Bären, zum Beispiel.

Insekten sind nicht nur schön – sie enthalten auch viel Eiweiß. Wie finden Sie die Idee, statt Fleisch von Pflanzenfressern das von Insekten und Larven zu essen?

Mal davon abgesehen, dass ich finde, wir sollten Tiere in Ruhe lassen: Wir haben in der Insektenzucht zu hundert Prozent dieselben Probleme wie in der Massentierhaltung. In der industriellen Insektenproduktion braucht man Bakterizide und Nikotin, man verseucht die Umwelt und den Boden. Mit dieser Technik – und da rede ich als Biologe und Berater zu dem Thema – kommen wir keinen Millimeter weiter. Da braucht man über Tierrechte gar nicht erst nachzudenken.

Sie haben vorhin gesagt, wir sind mittendrin im Armageddon. Wie kommen wir aus der Nummer raus?

Erstens: Tiere in Ruhe lassen. Wer Hühner hat, kann mit denen noch leben, so lange sie eben leben – oder gibt sie auf einen Lebenshof. Zweitens müssen wir die Menschen herausholen aus der intensiven Landwirtschaft. Ich habe mit einigen Bauern und Bäuerinnen gesprochen und festgestellt, dass sie total unglücklich sind, weil sie in einem Geldverwertungskreislauf stecken. Sie haben einen Hof gekauft oder mit Schulden geerbt und arbeiten die nächsten 35 Jahre daran, durch die Ausbeutung von Tieren, Pflanzen und Böden, den Hof mit Gewinn wieder verkaufen zu können. Das ist doch auch für die Menschen nicht schön. Die intensive Landwirtschaft zerstört alles: die Natur und die Menschen.

Und was kommt nach der intensiven Landwirtschaft?

Wenn man nicht mehr die gigantischen Mengen von Futtermitteln für die sogenannten Nutztiere produzieren muss, kann man riesige Flächen verwildern lassen. Es gibt massenhaft wissenschaftliche Untersuchungen und Daten dazu, auch aus Deutschland. Und die zeigen alle: Je weniger du eingreifst, umso mehr Ertrag hast du. Die Menschen können ein bisschen mit der Natur rumspielen, die Natur ist ertragreich und vielfältig. Wir haben Spaß miteinander, wir sind Freunde. Wir geben und nehmen in dem Maß, wie wir nehmen und geben können und wollen.

Nachrichtenquelle: geo.de

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