Welttierschutztag: Warum mehr Tierschutz nicht genug ist

Das System der massenhaften Tierproduktion generiert systematisch Missstände. Wir müssen unser Verhältnis zum Tier überdenken

Der 30. März dieses Jahres ist im beschaulichen Alt Tellin in Vorpommern ein wolkenloser Frühlingstag. Plötzlich steigen am Horizont gigantische schwarze Rauchwolken auf. Alle 18 Ställe der Schweinezuchtanlage, zwei Kilometer nordöstlich gelegen, brennen lichterloh. Die Feuerwehr kann nichts ausrichten, mehr als 55.000 Sauen und Ferkel verbrennen, ersticken in ihren Boxen. Nur rund 1300 Schweine gelangen noch rechtzeitig ins Freie. Ein ungewohnter Anblick. Vor allem für die Tiere. Echter Boden, echtes Gras, echtes Licht, echte Luft.

Die Bilder von Alt Tellin werfen ein grelles Schlaglicht auf ein ansonsten geräuschloses, diskretes System. In solchen Anlagen werden Sauen im Halbjahrestakt künstlich befruchtet, in Kastenstände gesperrt, die Ferkel werden von ihrer Mutter getrennt und an Mastbetriebe verkauft. Nach sechs Monaten auf engstem Raum, auf Spaltenboden, bei Dämmerlicht und beißendem Gestank endet das Leben der Kinder in der Kohlendioxid-Gondel des Schlachthofs. Im Minutentakt ausgeblutet, zerteilt und abgepackt in Plastikfolie, ab zum Discounter oder in den Export, je nachdem, was mehr bringt.

Forderungen nach Verbesserungen in der Tierhaltung greifen zu kurz

Turbo-Mast, Kükenschreddern, Hochleistungs-Milchkühe – man braucht im Komplex „Tiere in der Landwirtschaft“ nicht lange zu suchen, um ähnliche, auf maximale ökonomische Effizienz getrimmte Nutzungslogiken zu finden.Huhnfür dieWelt

Und man ist versucht, bessere Bedingungen für die Tiere zu fordern. Bessere Brandschutzbestimmungen in den Ställen vor allem, mehr Platz, besseres Futter, Beschäftigungsmöglichkeiten, mehr Zeit für Mutter und Kind, und so fort. All das wird tatsächlich gefordert, teilweise seit Jahrzehnten, und mit gutem Recht.

Doch das enorme Unbehagen, das die Bilder von Alt Tellin erzeugten, hat einen viel tieferen Hintergrund. Es lohnt sich, ihn kurz auszuleuchten: Das Bild der in Rauch aufgelösten und der ratlos herumstehenden Schweine weckt, wenn auch nur für Augenblicke, einen nagenden Zweifel: Ist das gerecht? Dürfen wir das eigentlich? Intelligente, empfindsame, soziale Mit-Wesen nur für unsere eigenen Zwecke zu „Nutz“-Tieren deklarieren, vermehren, töten, verkaufen, essen, wegwerfen?

Dürfen wir ihnen jedes eigene Recht auf Freiheit, Unversehrtheit, Leben, und schon gar ein selbstbestimmtes, absprechen? Denn dafür gibt es nun zwar eine juristische Rechtfertigung. Aber eben keine moralische. Und genau dieser Abgrund des moralischen Zweifels ist es, was das private und öffentliche Sprechen über sogenannte Nutztiere und den Konsum von Tierprodukten so nervös macht.

Albert Schweitzer: Keine Verbote, sondern persönliche Verantwortung

Nur wenige haben das so klar gesehen und so radikal formuliert wie der Arzt, Theologe, Philosoph, Musiker und Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer, formuliert in seiner Ethik von der Ehrfurcht vor dem Leben.

Um es gleich vorweg zu sagen: Schweitzer propagierte nicht den Veganismus, er schloss nicht einmal die Nutzung von Tieren für medizinische Versuche aus. So leicht machte er es seinen Hörerinnen und Hörern nicht. Er verlangte ihnen Schwereres ab: Das Bestehen vor dem eigenen Gewissen.

Schweitzer war nicht weltfremd, er leugnete nicht, dass es Menschen kaum möglich ist, zu leben, ohne andere Lebewesen zu schädigen oder zu töten. Doch „gerade weil wir so unter dem furchtbaren Naturgesetz stehen, das das Lebendige das Lebendige töten lässt, müssen wir mit Angst darüber wachen, dass wir nicht aus Gedankenlosigkeit vernichten, wo wir nicht unter dem Zwang der Notwendigkeit stehen“, wie Schweitzer im März 1919 seinen Hörerinnen und Hörern in der St.-Nicolai-Kirche zu Straßburg erklärt. „Wir müssen jedes Vernichten immer als etwas Furchtbares empfinden und uns in jedem einzelnen Falle fragen, ob wir die Verantwortung desselben tragen können, ob es nötig ist oder nicht.“

Der Hintergrund dieser kritischen Selbstbefragung ist eine unbequeme Erkenntnis: Dass wir Menschen uns ohne jedes Recht über alle anderen Lebensformen auf unserem gemeinsamen Planeten stellen. Dieses andere Leben ist nicht mehr und nicht weniger als: Leben, das leben will. Genau wie wir.

Nachrichtenquelle: geo.de

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