Städtetrip: Deventer, Zutphen, Zwolle – drei Perlen im Osten der Niederlande

In den Niederlanden fahren die meisten Touristen direkt durch bis zur Küste. Dabei gibt es auch in direkter Nachbarschaft zu Deutschland einiges zu entdecken– sogar den Drehort eines Hollywood-Klassikers

Wenn man sich in den Niederlanden mit einem Auto mit deutschem Kennzeichen in schmalen Altstadtgassen verfährt, kann das potenziell unangenehm sein. Noch dazu, wenn man zu allem Überfluss falsch in eine Einbahnstraße einbiegt. Da entsteht leicht der Eindruck, der Gast aus dem großen Nachbarland glaube, sich alles herausnehmen zu können.

In Deventer ist das aber offenbar kein Problem: Lachend bedeuten einige Niederländer den Besuchern, dass sie in der falschen Richtung unterwegs sind. Ohne lange nachzudenken, stehen sie auf und rücken ihre Stühle und den Restauranttisch zur Seite, sodass der Platz für ein Wendemanöver reicht. Dann winken sie den deutschen Gästen freundlich hinterher.

Im Osten der Niederlande ticken die Uhren etwas anders. Wer schon immer wissen wollte, was der Unterschied zwischen Holland und den Niederlanden ist, ist hier richtig.

Die Luft schmeckt schon nach frischer Brise, Möwen kreischen in der Ferne, aber am Meer ist man noch nicht. In den Straßen schmiegen sich Häuser in allen Variationen von Backstein aneinander. Sie sind hier oft nur zwei Stockwerke hoch, anders als in Amsterdam. Grachten gibt es kaum, dafür Flüsse und Seen. Und noch etwas fällt auf: Man trifft viel weniger Touristen.

Regionale Feinheiten

Holland ist nur der nordwestliche Teil des Königreichs. Die Niederländer im Rest des Landes betrachten sich keineswegs als Holländer. Die Friesen ganz im Norden pflegen sogar ihre eigene Sprache, während der Singsang im Dialekt der Limburger tief im Süden die Nähe zum Rheinland verrät.

Die östlichen Provinzen Overijssel und Gelderland sind wieder anders. Sie reichen von Niederrhein und Münsterland bis zum Ijsselmeer. Das heutige Binnengewässer war früher der Meerbusen Zuiderzee, von dem aus die Niederländer die Weltmeere befuhren.

Niederrhein und Münsterland dagegen sind aus niederländischer Sicht schon Mitteleuropa. So schlägt der Osten der Niederlande sozusagen den Bogen zwischen zwei Welten: von den Ozeanen zur eurasiatischen Landmasse. Dennoch ist dieser Teil des Landes bei Deutschen relativ unbekannt.

Die meisten düsen sofort weiter bis zur Küste und ahnen nicht, dass sie näher gelegene Schönheiten verpassen: Zutphen, Zwolle und Deventer zum Beispiel. Alle besitzen eine geschlossene historische Altstadt von erstaunlichem Ausmaß. Und alle waren im Mittelalter Hansestädte, enger verbunden mit deutschen Handelsmetropolen wie Lübeck, Hamburg und Köln als mit Holland.

Ein alter Giebelstein über einer Haustür in Deventer zeigt das Kölner Stadtpanorama mit noch unfertigem Dom.

Italienisches Flair und Festivals

„Die Hansementalität haben die hiesigen Unternehmer noch immer im Blut“, sagt Getrude van Keulen, Presseberaterin bei Marketing Oost. „Kreative Konzepte in schönen alten Häusern, das ist wirklich charakteristisch für alle. Aber gleichzeitig hat jede Stadt auch wieder ihre eigene Ausstrahlung.“

Deventer zum Beispiel ist ideal zum Ausgehen. An einem schönen Sommerabend herrschen hier italienische Verhältnisse: Im gesamten Zentrum reihen sich draußen die Tische der Restaurants aneinander.

Pulsierender Mittelpunkt ist der riesige Marktplatz mit der alten Stadtwaage, Brink genannt. Von dort aus kann man in alle Richtungen weiterwandern. Überall stößt man auf gastronomische Angebote. Zum Beispiel ist da die urige Stadtbrauerei DAVO, die von drei jungen Männern geführt wird. „Wir haben kein Geld, wir haben nur das hier – alles mit Crowdfunding bezahlt“, sagt Miteigentümer Jos Schmitz.

Zwischen all den alten Stadthäusern steht auch ein modernes Gebäude, das sich sehen lassen kann: der preisgekrönte Erweiterungsbau des historischen Rathauses. Der Neubau war umstritten, ein erster Entwurf wurde von der Bevölkerung abgelehnt. Um die Akzeptanz zu erhöhen, sind in der Fassade die Fingerabdrücke von 2264 Einwohnern als große Kunstwerke verarbeitet, wie Stadtführerin Truus Schreijer erzählt.

Deventer ist auch eine Festivalstadt. Zur Weihnachtszeit kann man sich in den engen Stiegen der Altstadt in das London des 19. Jahrhunderts versetzt fühlen. Dann läuft hier das Dickens-Festival mit Hunderten von verkleideten Teilnehmern – zu Ehren des englischen Schriftstellers Charles Dickens (1812-1870).

Im Sommer wiederum zieht das Festival Deventer Op Stelten (Deventer auf Stelzen) etwa 150 internationale Theatergruppen in die Stadt. Sprachkenntnisse sind für die Vorstellungen meist nicht nötig. Es dominieren Pantomime, Mimik und Musik.

Eine berühmte Brücke über die Ijssel

Brücke in Deventer
Die Wilhelminabrücke in Deventer war Kulisse für das Hollywood-Epos „Die Brücke von Arnheim“
© Christoph Driessen/dpa-tmn

Deventer liegt unmittelbar am Fluss Ijssel, dem nördlichsten Mündungsarm des Rheins. Der verläuft hier nicht in einem engen Korsett, sondern schlängelt sich mit vielen Seitenarmen durch die Landschaft. Dadurch ist die Umgebung von Deventer ein Naturparadies. Auch das ist wieder ein Unterschied zum dicht bevölkerten Westen des Landes: Dort ist für Natur vielerorts kaum noch Platz.

Der schönste Blick auf Deventer bietet sich von der Wilhelminabrücke, einer weißen Bogenbrücke über die Ijssel. Sie hat Filmgeschichte geschrieben: 1976 stellte sie die Brücke von Arnheim in dem gleichnamigen Kriegsfilm von Richard Attenborough dar. Die Originalbrücke in Arnheim konnte nicht genutzt werden, da sie von zu vielen modernen Gebäuden umstellt ist.

Ein beispielloses Staraufgebot inklusive Sean Connery, Anthony Hopkins, Robert Redford, Laurence Olivier und Hardy Krüger machte das Drei-Stunden-Epos zum Hollywood-Klassiker.

Ausgefallene Souvenirs in Zutphen

Zutphen lockt Reisende aus dem nahen Deutschland mit idyllischen Gassen
Zutphen lockt Reisende aus dem nahen Deutschland mit idyllischen Gassen
© Christoph Driessen/dpa-tmn

Das etwas weiter südlich gelegene Zutphen ist die Stadt der originellen Geschäfte. „Kennzeichnend für Zutphen ist eine große Anhängerschaft des Anthroposophen Rudolf Steiner“, sagt Mark Schuitemaker vom örtlichen Tourismusbüro VVV. Dementsprechend gibt es viele Waldorfschulen, aber auch zahlreiche dazu passende Geschäfte mit Holzspielzeug, Bio-Käse oder Kleidung aus Hanf, Bambus und Soja.

Zutphen ist auch eine Stadt der Düfte, etwa wenn donnerstags der 800 Jahre alte Wochenmarkt abgehalten wird. Aber auch an anderen Tagen wird man durch einen anziehenden Geruchsmix in das Nussgeschäft Noten & Zo gelockt. Nach Kerzen und edler Seife duftet es aus dem Concept Store ByNord, nach frischem Kaffee aus Van Rossum’s Koffie, nach Schokolade aus dem alt eingesessenen Bonbon-Atelier Janson.

„Bei uns ist alles kleinteilig, jedes Geschäft hier hat seine eigene Identität und wird oft vom Eigentümer selbst geführt“, sagt „Meester-Chocolatier“ Huub Janson. Vieles scheint eher eine Liebhaberei als eine kommerzielle Unternehmung zu sein.

Einen Besuch wert ist auch das umgebaute Broederenklooster, eines der ältesten Gebäude der Stadt. Es beherbergt ein Hotel mit 15 Zimmern im ehemaligen Dormitorium der Mönche, eine Bierbar und ein Restaurant im ehemaligen Speisesaal.

„Zutphen war im 13., 14. Jahrhundert eigentlich die Hauptstadt der östlichen Niederlande und eines Teils von Deutschland dazu“, erzählt Eigentümer Anton de Lange. „Dieser Saal war ursprünglich der alte Rittersaal des Grafen von Zutphen.“ Wenn dazu noch das Glockenspiel des nahen Weinhausturms erklingt – gespielt von einem richtigen Glöckner – kann man sich in einem Rittermärchen wähnen.

Zwolle: Sushi in der Kirche und ein spannender Toter

Zwolle
Zwolle ist eine sehr geschichtsträchtige Stadt
© Marc Goldman/shutterstock

Die größte der drei Städte ist Zwolle mit 130.000 Einwohnern, Hauptstadt der Provinz Overijssel. Man könnte sie auch als die Stadt der umgewidmeten Kirchen bezeichnen. In der anno 1309 begründeten Bethlehemkirche kann man Sushi essen. Die Sankt-Michaels-Kirche mit einer berühmten Barockorgel wird unter anderem für Kunstausstellungen genutzt. Und die gotische Brüderkirche des Dominikanerordens beherbergt ein Buchgeschäft mit Café.

Man stolpert hier geradezu über die Geschichte. An einer Stelle fällt der Blick durch eine Glasscheibe auf ein Gerippe mit angezogenen Beinen. 2010 wurde dieser Ötzi von Zwolle durch Zufall bei Bauarbeiten entdeckt. „Ich war dabei, als er gefunden wurde, es war ein Freitagnachmittag“, erzählt Stadtführer Bert Dijkink. „Es war damals auch ein stadtbekannter Pressefotograf mit dabei, Harry, und deshalb haben wir das Skelett erstmal Harry getauft.“

Inzwischen ist bekannt: Harry lebte zwischen 1316 und 1440, war 1,69 Meter groß und Anfang 20, als ihm brutal der Schädel eingeschlagen wurde. Mit einem Lederriemen gefesselt, wurde er zurückgelassen. Sein Schicksal hat die Einwohner von Zwolle nicht mehr losgelassen. Mittlerweile ist sogar sein Gesicht rekonstruiert worden.

Als Wachsfigur erstand Harry von den Toten auf: Man muss nur den Deckel einer großen schwarzen Kiste in der obersten Etage des Buchgeschäfts öffnen, dann liegt er da in mittelalterlicher Kleidung und scheint friedlich zu schlafen. Statt Harry heißt er inzwischen allerdings Hermen. „Das klingt mehr nach Mittelalter“, sagt Bert Dijkink schmunzelnd. Wie er zu seinem grausamen Ende kam, wird wohl für immer ein ungelüftetes kriminalistisches Geheimnis bleiben.

Ein handfester Vorteil der östlichen Niederlande ist, dass die Preise hier deutlich unter denen in Amsterdam, Den Haag oder Utrecht liegen. Ein vegetarisches Fünf-Gänge-Menü inklusive Wein in Zwolles Hotelrestaurant „Pillows“ kostet zum Beispiel weniger als 60 Euro.

Auffällig im Vergleich zum Westen des Landes ist auch die herzliche Bedienung. Und überhaupt: Mit den Leuten kommt man ganz leicht in Kontakt. Dafür muss man gar nicht erst falsch in eine Einbahnstraße einbiegen.

Nachrichtenquelle: geo.de

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