Konsumgesellschaft: Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer: "Demokratien sind kurzsichtig"

Seit einem halben Jahrhundert beschäftigt sich der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer mit den Folgen des Konsums für Mensch und Umwelt. Im Interview erklärt er, warum sich Menschen und Demokratien schwertun, gegenzusteuern

GEO.de: Herr Schmidbauer, Ihr erstes konsumkritisches Buch, „Homo consumens“ erschien vor fast einem halben Jahrhundert, im selben Jahr wie der  berühmte Bericht des Club of Rome, „Grenzen des Wachstums“. Seither ist die Wirtschaft unbeirrt weiter gewachsen, hat sich unser Konsum vervielfacht. Macht Sie das wütend?

Wolfgang Schmidbauer: Eher traurig. Ich sehe es allerdings differenziert. Es ist seither viel passiert, es gibt sehr viel mehr Nachdenken über die Folgen unseres Tuns. Auf der anderen Seite sind neue Probleme hinzugekommen, und das Grundthema ist immer noch dasselbe. Ich schrieb damals, dass Homo consumens wie die Dinosaurier zum Aussterben verurteilt sei, und sich die Frage stelle, ob Homo sapiens, der „kluge“ oder „weise“ Mensch, überlebt. Das halte ich immer noch für einen treffenden Einfall.

Wovon könnte sein Überleben denn abhängen?

Es ist immer noch offen, ob die Ansätze zu einer Reflexion und zu einer Kritik des ganzen Systems von Wirtschaft und Konsum ausreichen. Und wann sie handlungsleitend werden, vor allem auf einer globalen Ebene. Da vergeht viel Zeit, auch wenn die Ansätze hin und wieder einen Schub bekommen durch reale Katastrophen …

Zum Beispiel durch die Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands …

Für viele ist inzwischen klar, dass das die Folge einer menschengemachten Veränderung der Umwelt ist. Aber gleichzeitig polarisiert sich die Gesellschaft. Die Rechtspopulisten wollen diese Veränderungen zwar nicht ganz ignorieren, fordern aber, dass unser Nationalstaat, unsere kleine, überschaubare Welt, davon bitteschön nicht beeinträchtigt wird. Bloß keine Einschränkungen für die Wirtschaft! Ich bin zu alt, um da noch wütend zu werden. Außerdem bin ich Analytiker. Wenn man nicht eine gewisse Toleranz und eine Art Mitleid angesichts der menschlichen Dummheit entwickelt, kann man den Beruf gar nicht ausüben.

Klügere Ansätze gibt es viele, simplify your life, Entrümpelung, Weniger ist mehr sind gängige Slogans. Sie haben selbst ein Buch über die Vorzüge des Reparierens geschrieben. Warum setzt sich die ressourcenschonende Denkweise nicht durch?

Ich halte es für eine Art Spaltung: Die Menschen glauben, es sei gut, „sich etwas zu gönnen“, zum Beispiel beim Shoppen. Über die Konsequenzen kann man ja später nachdenken. Das kluge, vom Ende her gedachte Vorgehen – etwas, das seit den alten Römern von Philosophen immer wieder gepredigt wurde –, das widerspricht diesem animalischen Prinzip. Man muss ein hohes Niveau seelischer Reife erreicht haben, um zu dieser distanzierten Position überhaupt fähig zu werden und auch Freude an ihr zu haben.

In der DDR gehörten das Reparieren und die Improvisation zum Alltag – ihren Trabi konnte viele selbst instandsetzen. Jetzt sind Ost und West einig Konsumland. Könnte es sein, dass nur der Mangel die Kreativität herausfordert?

Das glaube ich nicht. Das Interesse an Reparaturen hat ja sehr zugenommen. Es gibt Reparaturcafés, im Internet kann man Videos anschauen, in denen erklärt wird, wie man alle möglichen Sachen repariert. Es gibt einen riesigen Fundus an Wissen, es gibt Subkulturen und kleine Gruppen, die ihn pflegen. Was es nicht gibt, das ist ein Entgegenkommen der Industrie. Vor vielen Jahren habe ich mal versucht, Volkswagen die Idee zu einem Auto nahezubringen, das jede Hauptschulklasse zusammen- und auseinanderbauen und reparieren kann. Mich hat daraufhin ein freundlicher Herr aus der Marketing-Abteilung angerufen und erklärt, unter dem gegenwärtigen Vorstand sei so etwas nicht durchzusetzen.

Hat Sie das überrascht?

Natürlich nicht. Ich fühlte mich an eine Geschichte erinnert, die Sigmund Freud erzählt: Der ungläubige Versicherungsvertreter ist sterbenskrank, seine Söhne rufen den Rabbi, der ihm ins Gewissen reden soll, damit er gläubig wird. Die beiden sprechen dann lange hinter verschlossenen Türen, und als der Rabbi rauskommt, fragen ihn die Söhne nach dem Ergebnis. Sagt der Rabbi: „Ich habe eine Versicherung abgeschlossen.“ Andererseits denke ich: Wir leben in einer Konkurrenzgesellschaft, und wenn jemand in Konkurrenz zu den anderen, die den Verschwendungskonsum fördern, etwas anbietet, was nachhaltig ist, dann hätte der doch ein Plus.

Sie schreiben im Vorwort einer späteren Auflage von „Homo consumens“, die ursprüngliche Fassung sei Ihnen zu pathetisch und moralisierend erschienen. Wie hat sich Ihre eigene Konsumkritik im Lauf der Jahrzehnte verändert?

Ich bin toleranter geworden. In einer demokratischen Kultur muss man akzeptieren, dass es verschiedene Positionen gibt. Man strebt an, dass die eigene Position zum Gesetz wird, dass das als falsch erkannte Verhalten sanktioniert wird. Aber so lange das nicht der Fall ist, erscheint es mir zum Beispiel übergriffig, ein SUV zu zerkratzen, nur weil man es für falsch hält, ein solches Auto zu fahren.Wege zumalternativenHedonismus

Ich hatte am Anfang mehr so einen Predigerton, meinte, dass nur dumme Leute verschwenderisch leben und sich dem Konsum hingeben. Inzwischen bin ich einsichtiger. Es ist eine Illusion zu glauben, eine hohe Intelligenz und eine gute Ausbildung könne Menschen davor schützen, sich primitiven Vorurteilen hinzugeben.

Auch Forderungen nach individuellem Verzicht wirken heute seltsam hilflos …

Ich finde es auch schon lange sehr problematisch, wenn man das Problem so moralisch fasst. Dass ich als Einzelner dem Planeten zuliebe auf etwas verzichten soll, auf das andere nicht verzichten. Es ist doch sinnvoller, dass das Kollektiv sich entscheidet, auf bestimmte Dinge zu verzichten. Dass Produkte und Dienstleistungen entsprechend besteuert oder ganz verboten werden. Da ist der Staat gefordert, sich mit den systemischen Problemen des Wirtschaftswachstums oder der Schrumpfung auseinanderzusetzen.

Viele machen sich Sorgen, dass die gesellschaftliche Entwicklung, die Politik zu langsam ist angesichts der sich zuspitzenden Krisen …

Das ist natürlich ein Riesenproblem in jeder Demokratie. Menschen entscheiden sehr stark aufgrund ihrer Affekte, und die Affekte sind schnell, während die Überlegungen über die Zerstörung des Planeten und die Grenzen des Wachstums langsam sind. Man muss nachdenken, um sich davon überzeugen zu lassen. Demokratien sind  kurzsichtig, sie entscheiden sehr stark nach Affekten, nach Umfragewerten. Politiker, die irgendeinen Fehler machen, auch wenn der nichts mit ihren politischen Fähigkeiten zu tun hat, sinken in den Umfragewerten schnell ab. Es ist eine grundlegende und offene Frage, ob Demokratien mit diesem Problem umzugehen lernen werden. Momentan zeigt sich, wie schwerfällig sie in ihren Reaktionen sind. Wobei natürlich die Diktaturen überhaupt nicht besser abschneiden. Eher noch schlechter. Wir sind noch in einem Stadium der Suche und der Unsicherheit.

Sie haben einen wichtigen Teil ihres Schaffens der Sorge um die Lebensbedingungen auf dem Planeten gewidmet. Wie blicken Sie in die Zukunft?

Ich habe es oft erlebt, dass schlimme Katastrophen als unmittelbar bevorstehend  angekündigt wurden, und ich habe mich immer dagegen verwandt, dass  Naturschützer unwissenschaftlich, mit Untergangsszenarien argumentieren. Der Ozeanograf Jacques Cousteau hat in den 1970er-Jahren gewarnt, dass es 1990 im Mittelmeer kein Leben mehr geben werde. Heute schwimmen dort immer noch Fische, zwar nur wenige, aber auf jeden Fall ist das Mittelmeer nicht tot. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich unglaublich viel verändert, und niemand hat das so vorausgesehen. Als jemand, der lange neugierig durch die Welt gegangen ist, würde ich das, etwas ironisch zugespitzt, so zusammenfassen: Wir haben keine Ahnung von der Zukunft.

"Das Modell von Ex und Hopp lädiert nicht nur die Umwelt, sondern auch unsere Innenwelt", erklärt Wolfgang Schmidbauer in seinem Essay "Die Kunst der Reparatur", erschienen im Oekom-Verlag
„Das Modell von Ex und Hopp lädiert nicht nur die Umwelt, sondern auch unsere Innenwelt“, erklärt Wolfgang Schmidbauer in seinem Essay „Die Kunst der Reparatur“, erschienen im Oekom-Verlag

Nachrichtenquelle: geo.de

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