Klimaziele der EU: "Fit for 55": Was bringen die Vorschläge der EU-Kommission?

Mond- oder Bruchlandung? Die EU-Kommission hat heute konkrete Schritte vorgestellt, wie in ihren Mitgliedsstaaten die Klimaziele bis 2030 erreicht werden sollen. Die Richtung stimmt, aber es gibt noch viel Luft nach oben

Von einer „Mondlandung“ hatte Ursula von der Leyen gesprochen – und meinte damit die Klimaneutralität der Europäischen Union, spätestens bis zum Jahr 2050. Damit es nicht bei vollmundigen Versprechen an die Fridays-for-Future-Generation bleibt, sollen die Emissionen in der Union schon vorher rasch sinken. Nach dem Klimagesetz der EU sollen bis 2030 die Emissionen gegenüber 1990 um 55 Prozent sinken. „Fit for 55“ heißt das im anbiedernden EU-Sprech. Das entspricht einer Anhebung des bisherigen Ziels um immerhin 15 Prozent. Während Vertreter der Wirtschaft sich besorgt zeigen, ob das Ziel realistisch ist, beklagen Umweltverbände: Um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, wäre mehr nötig: nämlich 65 Prozent bis 2030.

Immerhin: Das Klimagesetz der EU sieht einen Klimarat mit 15 unabhängigen Experten vor, der die Umsetzung der Ziele begleiten wird. Zudem soll ein Treibhausgas-Budget errechnet werden, nach dem sich die Reduktionsziele bis 2040 ableiten. Sich hinter bloßen Versprechen zu verstecken, wird dann schwer.

In ihrem heute vorgestellten Papier schlägt die Kommission Maßnahmen vor, mit denen die EU das Zwischenziel bis 2030 erreichen soll. Die vier wichtigsten:

1. Schon seit 15 Jahren müssen Industrie, Energiewirtschaft und Airlines Verschmutzungsrechte, so genannte Zertifikate kaufen. Bei einem verschärften Klimaziel wird die Zahl der handelbaren Zertifikate automatisch verknappt. Das treibt den Preis für die Verschmutzung der Erdatmosphäre im Europäischen Emissionshandel, kurz ETS-Handel, in die Höhe – und soll den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben. Zudem werden nun auch der Gebäudesektor und der Verkehr an dem Handel beteiligt. Das ist überfällig. Denn hier entstehen mehr als ein Drittel der gesamten Emissionen.

Was bringt das?

Die Maßnahme ist überfällig, birgt allerdings auch Potenzial für Unmut. Denn die steigenden Preise bei Benzin, Diesel, Öl und Gas werden Verbraucherinnen und Verbraucher sofort spüren. Völlig richtig: Über einen Sozialfonds sollen EU-weit Härten ausgeglichen werden.

2.  Autohersteller müssen die Emissionen ihrer Wagen drastisch verringern. Gegenüber heute sollen die Flottenemissionen satte 60 Prozent geringer ausfallen. Gemeint sind damit die Emissionen der tatsächlichen Neuzulassungen. Es nützt Herstellern also nichts, ein spritsparendes Modell auf den Markt zu bringen, das am Ende nicht gekauft wird. Eine Technologie wird zwar nicht vorgegeben. Doch alles deutet darauf hin, dass das Elektroauto kommt und der Verbrenner geht – und zwar schon bis 2035. Ab diesem Jahr sollen Neuwagen mit Verbrennungsmotor sogar ganz verboten werden. Um diesen enormen Wandel möglich zu machen, werden die Mitgliedsstaaten verpflichtet, eine effektive Ladeinfrastruktur aufzubauen. Bislang ist diese sehr ungleich verteilt. Stolze 70 Prozent stehen in nur drei Ländern: in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland. Der Schritt ist folgerichtig.

Was bringt das?

Der Umwelt nützt es wenig, wenn einfach nur das Antriebssystem ausgetauscht wird. E-Mobilität erzeugt auch Emissionen und verbraucht Ressourcen – die mit dem Boom der Stromer kostbarer werden. Und deren Gewinnung mit Umweltproblemen verbunden ist, Lithium zum Beispiel. Das Problem ist nicht der Verbrenner. Sondern der exzessive, individuelle Kilometer-Konsum.

3. In der globalen Perspektive bedeutet die Verteuerung der CO2-Zertifikate einen Wettbewerbsnachteil für EU-Unternehmen. Darum sollen ab 2026 Firmen einen „Grenzausgleich“ zahlen, wenn sie energieintensiv hergestellte Güter wie Zement, Düngemittel und Strom oder Eisen, Stahl und Aluminium in die EU importieren. Die Höhe dieses Ausgleichs orientiert sich dann am CO2-Fußabdruck der Produkte – und dem europäischen Emissionshandel.

Was bringt das?

Auf diese Weise wird nicht nur die EU-Wirtschaft geschützt. Es wird auch verhindert, dass die Lenkungswirkung durch den höheren Preis durch Billig-Importe ausgehebelt wird. Und Nicht-EU-Länder erhalten einen Anreiz, die Emissionen ihrer Produktion selbst zu senken, um für EU-Importeure attraktiv zu bleiben. Auch wenn es jetzt schon Kritik aus der Wirtschaft hagelt: Die Idee ist richtig.

4. Auch die Flugwirtschaft, durch die Corona-Pandemie ohnehin schwer gebeutelt, soll klimafreundlicher werden. Dazu soll Kerosin für innereuropäische Flüge erstmalig mit einem Mindeststeuersatz belegt werden. Dem Treibstoff sollen zudem „nachhaltige“ Kraftstoffe beigemischt werden. Auch Schiffe, die europäische Häfen anlaufen, sollen mit einem klimafreundlichen Kraftstoff-Mix angetrieben werden. Darüber hinaus ist ein Flottengrenzwert für den Schiffsverkehr vorgesehen, ähnlich wie bei Automobilen.

Was bringt das?

Es ist höchste Zeit, dass die EU das Thema der steuerlichen Bevorzugung des besonders klimaschädlichen Flugtreibstoffs angeht. Was die beigemischten, „nachhaltigen“ Kraftstoffe anbelangt, wird man sehr genau hinschauen müssen. Denn je nach Anbaumethode sind auch „Biofuels“ aus Raps, Soja, Zucker oder Getreide mit teils erheblichen Umweltbelastungen verbunden. Und E-Fuels aus erneuerbaren Energien befinden sich noch in der Erprobungsphase. Der für ihre Herstellung erforderliche Strom würde zudem für andere Anwendungen fehlen.

5. Die Kommission schlägt vor, Emissionen, etwa aus der Landwirtschaft, verstärkt durch Aufforstungen zu kompensieren. Durch sogenannte natürliche Senken wie Wälder und Moore sollen bis 2030 insgesamt 310 Millionen Tonnen CO2-Emissionen gebunden werden.

Was bringt das?

Der Punkt ist heikel. Denn das Kompensieren an anderer Stelle verdeckt, was eigentlich nötig ist: nicht weniger als eine grundlegende Reform der Landwirtschaft. Denn die moderne, industrialisierte Landwirtschaft verusacht nicht nur mehr Emissionen als die Industrie in der EU. Sie ist auch für das Verschwinden von Insekten und Feldvögeln, für die Verarmung von fruchtbaren Böden, unerwünschten Stoffen im Grund- und Oberflächenwasser, Antibiotikaresistenzen und viel Tierleid verantwortlich, um nur Beispiele zu nennen.

Auch wenn die Zeit beim Klimaschutz drängt: Beschlossen und verkündet sind die Vorschläge noch lange nicht. Nach der Vorstellung der Maßnahmen befassen sich das EU-Parlament und die 27 Mitgliedsstaaten mit dem Paket der Kommission. Im günstigsten Fall könnten die Regeln Ende 2022 in Kraft treten.

Nachrichtenquelle: geo.de

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