Ökologische Waldbewirtschaftung: Wie ein Bonner Startup mit deutschem Wald CO2-Zertifikate generieren will

Bei Exkursionen zum Thema „Ökologische Waldbewirtschaftung“ stoßen wir immer auf zukunftsweisende Ideen. Diese hat GEO-Chefredakteur Jens Schröder besonders begeistert: eine Möglichkeit, CO2-Zertifikate durch schonenden Umgang mit deutschem Wald zu generieren

Die Zeremonie wirkt wie eine Art Rheinland-Pfälzischer Rütli-Schwur: Auf einem sonnigen Wanderparkplatz mit Blick über das Mittelrheintal treffen sich sechs Bürgermeister, vier Gründer eines Bonner Start-Ups sowie eine Wissenschaftlerin und ein Wissenschaftler aus Eberswalde. Die zwölf versprechen einander, samt Unterschrift: Wir wagen gemeinsam etwas Neues. Zur Bekräftigung des Paktes bekommen alle eine Flasche heimischen Riesling „Felsenspiel“ – und dann steht es: Das erste Projekt, in dem mit deutschem Wald CO2-Zertifikate entstehen sollen. Die mutigen Pioniere heißen: Oberheimbach, Niederheimbach, Manubach, Oberdiebach, Bacharach und Breitscheid.

Das Startup will die Spielregeln ändern

Worum geht es? Bislang müssen Unternehmen, die Kompensation für ihre CO2-Emissionen leisten wollen, entsprechende Zertifikate aus dem Ausland kaufen: Sie unterstützen dann Aufforstung in Nicaragua, klimafreundliche Müllbearbeitung in Indonesien oder Solarkocher in Afrika. Und müssen darauf vertrauen, dass diese Projekte in der Ferne auch tatsächlich CO2-Emissionen senken, so wie sie es versprechen. Klima-Kompensation durch deutschen Wald kommt bislang nicht in Frage: Denn der wird ja sowieso dem Klimakonto von ganz Deutschland gutgeschrieben. Das CO2, das ein neu gepflanzter Baum bindet, kann insofern eigentlich nicht als ZUSÄTZLICHER Klimaschutz gewertet werden – und darf daher nicht als offizielle Kompensation für andere Emissionen herhalten. Aber nicht alles, was aktuell im Wald geschieht, ist wirklich gut für das Klima.

Das Bonner Startup Woodify will deshalb die Spielregeln ändern – und hat sich dazu Hilfe bei der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde geholt. Dort haben Pierre Ibisch und Jeanette Blumröder eine wissenschaftliche Methode entwickelt, um verschiedene Formen des Umgangs mit Waldflächen mit Blick auf die dabei gebundene Menge an CO2 zu vergleichen. Wenn man zum Beispiel abgestorbene Fichtenforsten kahlschlägt und das Holz verkauft, landen im Schnitt drei Viertel des Holzes in eher kurzlebigen Verwendungsformen, in hölzernen Gebrauchsgegenständen zum Beispiel. Oder in Kraftwerken. Das heißt: Das im Holz gebundene CO2 wird binnen weniger Jahre wieder freigesetzt. Wenn dagegen die toten Stämme einfach auf der Fläche stehenbleiben, zersetzen sie sich sehr langsam – und dabei wird auch noch ein Teil ihres Kohlenstoffes wieder im Waldboden aufgenommen. Dazu kommt, dass auf Kahlschlagsflächen große Mengen CO2 aus dem Boden ausgasen, weil der sich in der prallen Sonne stark aufheizt – im kühlenden Schatten von Totholz-Stämmen ist dieser Effekt wesentlich kleiner. „Das bedeutet: Wenn wir zum Beispiel tote Bäume einfach stehen lassen, haben wir genau diesen zusätzlichen CO2-Bindungseffekt, der für ein Zertifikat als Kompensationsleistung nötig ist“, erklärt Ibisch. „Und diesen Unterschied können wir jetzt für ganz konkrete Waldflächen und für die nächsten Jahrzehnte berechnen.“

GEO entwickelt neuen Studiengang „Ökologische Waldbewirtschaftung“ (24043)

An dieser Stelle kommt Woodify ins Spiel. Das Geschäftsmodell der Gründer des Startups: Sie pachten Waldflächen, stellen vertraglich sicher, dass sie für 30 Jahre nicht angerührt werden – und lassen sich der für die damit nachweislich zusätzlich eingesparten CO2-Menge Emissionszertifikate ausstellen – vom TÜV geprüft. Diese Zertifikate wiederum verkaufen sie zu einem festen Preis pro Tonne eingespartem Gas an Firmen, die freiwillig das Klima stabilisieren wollen und das gern mit transparenten einheimischen Projekten tun möchten. „“m Grunde sind wir Pächter, die aber darauf verzichten, die Früchte aus ihren gepachteten Flächen zu ernten“, sagt Björn Clüssrath. „Unsere Frucht ist eben nicht das Holz, sondern sozusagen die Ökosystemleistung des Waldes: die zusätzliche Speicherung für CO2 durch die naturbelassenen Prozesse.“ Diese Leistung lässt sich auch verkaufen. Und bringt am Ende vielleicht mehr ein, als das Holz gebracht hätte.

Nicht bloß ein Naturschutz-Projekt, sondern immer noch Waldwirtschaft

Aus dem Geld, dass Woodify für diese Zertifikate erlösen kann, bekommen die Waldbesitzer einen vorher festgelegten Anteil. Die Entschädigung dafür, dass sie 30 Jahre auf den Holzeinschlag verzichten. Für die sechs Bürgermeister der kleinen Pionier-Kommunen am Mittelrhein ist das genau der Punkt, mit dem sie auf den Bürgerversammlungen um Zustimmung werben wollen, dass sie zehn Prozent des Gemeindewaldes nun von Woodify vermarkten lassen: Das ist nicht bloß ein Naturschutz-Projekt, sondern immer noch Waldwirtschaft, die für schwarze Zahlen im kommunalen Haushalt sorgen kann.

Und das Tolle ist: Die anderen Ökosystemleistungen des Waldes werden mit dieser Methode automatisch mitgefördert. Joachim Jacobs, der Revierförster von Oberheimbach und Mitinitiator des Projektes ist begeistert: „Über kahlgeschlagenen Flächen heizt sich die Luft enorm auf, bei den Wäldern die wir mit Woodify verwalten, erhalten wir einen kühlenden Effekt für die Landschaft. Und die Waldböden entwickeln so auch ihre Fähigkeit viel besser, Regenwasser zu speichern – das wird enorm wichtig, wenn wir weitere trockene Sommer bekommen.“

Diese positiven Effekte gibt es im bisherigen Geschäftsmodell von Woodify noch quasi kostenlos dazu. Aber die Gründer sind guter Hoffnung, dass auch solche Leistungen der natürlichen Prozesse in Wäldern bald exakt bemessen und gegen Geld vermarkten lassen könnten. Und die Wissenschaftler aus Eberswalde arbeiten schon daran, auch diese Werte wissenschaftlich zu ermitteln.

Und was ist mit dem Holz? Förster Joachim Jacobs zeigt auf eine Fläche, wo vor ein paar Jahren Fichten durch Windwurf gefallen sind, und die seitdem nicht aktiv aufgeforstet wurde. „Das kommt ja auch von allein: Hier haben sich kleine Buchen, Hainbuchen, Birken angesiedelt, auch Fichten wachsen nach. Ist doch eine gute Mischung, was will man mehr?“ Wenn die 30 Woodify-Jahre verstrichen sind, dann spricht auch nichts gegen eine Nutzung von Holz aus den sich selbst überlassenen Gebieten. Und dass das nicht mehr per Kahlschlag geschehen sollte, so hofft er, dürfte bis dahin in der Holz-Branche selbstverständlich sein.

Nachrichtenquelle: geo.de

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