Deutsche Geschichte: Rudi Dutschke: Schlüsselfigur der Studentenbewegung

Er wurde zum Gesicht der 1960er Studentenbewegung, als linke Gefahr bezeichnet und Opfer eines Anschlags: Rudi Dutschke. Der religiöse Sozialist hat mit seinen Ansichten die deutsche Nachkriegsgeschichte geprägt, politische Werte in Frage gestellt und die Gesellschaft der Bundesrepublik nachhaltig beeinflusst.

Als „wahrhaften Sozialisten“  bezeichnete der bekannte Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas den politischen Aktivisten Rudi Dutschke nach seinem Tod im Dezember 1979.Diese politische Prägung wurde Dutschke quasi schon in die Wiege gelegt.

Geboren wurde Alfred Willi Rudi Dutschke am 7. März 1940 in der ehemaligen DDR und wuchs im kleinen Städtchen Luckenwalde im heutigen Brandenburg auf. Sein frühes Engagement in der dortigen evangelischen Jungen Gemeinde prägt von da an seinen weiteren Lebensweg.

Rudi Dutschke als Pazifist

Aus religiösen und moralischen Gründen verweigert Rudi Dutschke den Wehrdienst mit der Waffe in der Nationalen Volksarmee. Seine pazifistischen Ansichten stehen ihm anschließend im Weg zur guten Abiturnote und damit zum Studium „Sportjournalistik“  in der DDR.

Für den leidenschaftlichen Zehnkämpfer ist das aber offensichtlich eher ein Antrieb als ein Hindernis, um seinen Weg zu gehen. Dutschke holt sein Abitur im damaligen  Berlin-West nach.

Freie Universität Berlin auf Dutschkes Weg zum Marxisten

Dann, nur drei Tage vor dem Bau der Berliner Mauer, zieht er am 10. August 1961 nach West-Berlin und flüchtet damit in den Westen. Die Freie Universität Berlin (FU) und sein Studium der Soziologie, Philosophie und Geschichtswissenschaft werden zum Grundstein für seine weitere politische Entwicklung. Rudi Dutschke kritisiert den Kapitalismus in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Er liest Karl Marx, Ernst Blochund Werke der Kritischen Theorie von Theodor W. Adorno. Dutschke wird vom religiösen Sozialisten zum Marxisten.  Der erste Kontakt zu seiner späteren Ehefrau Gretchen Klotz, einer US-amerikanischen Theologiestudentin an der FU Berlin, bestärkt ihn auf diesem Weg.

Neben den damaligen gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen– eingeläutet durch die Pop-Kultur der 1950er und 1960er Jahre – sind es auch die Lebensumstände in Ländern der „Dritten Welt“ sowie politische Umbrüche, die Rudi Dutschke inspirieren und motivieren. Die Kubanische Revolution der 1950er-Jahre und der Marxist Ernesto „Che“ Guevara gehören dazu. Rudi Dutschke prägt den Begriff des „Stadtguerilla“, ruft zu Widerstand und Gewalt gegen das bestehende System des Kapitalismus auf – spricht sich aber klar gegen Terrorismus aus und distanziert sich in späteren Jahren von der linken Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF).

Studentenbewegung mit politischen Aktionen

Es sei nötig „durch „systematische, kontrollierte und limitierte Konfrontation der Staatsgewalt und den Imperialismus in West-Berlin die repräsentative ,Demokratie` zu zwingen, offen ihren Klassencharakter, ihren Herrschaftscharakter zu zeigen, sie zu zwingen, sich als ,Diktatur der Gewalt` zu entlarven!“, schreibt er in seinem bekannten Aufsatz im Mai 1968 im Band „Rebellion der Studenten“.

Dem vorangegangen waren bereits mehrere Jahre der Konfrontation und i Aktion, die das Entstehen der 1960er Studentenbewegung mit begründeten.

Ein wesentlicher Schritt auf dem Weg dorthin ist im Januar 1965 der Eintritt von Rudi Dutschke in den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS).  Der politische Studentenverband gehörte bis 1961 zur SPD, wurde von der Partei ausgeschlossen und war dann bis zu seiner Auflösung im Jahr 1970 die einzige deutsche parteiunabhängige Hochschulorganisation.  Dutschke wird im Juni 1965 in den politischen Beirat des SDS gewählt. Er nutzt diese Position für Aktionen und die Verbreitung seiner politischen Ansichten und Theorien.

Dazu gehören Proteste gegen den Vietnam-Krieg, Sitzblockaden und Demonstrationen. Rudi Dutschkes Kritik an den bestehenden politischen und wirtschaftlichen Systemen in West- und Ostdeutschland ist vor allem auch, dass er dort Strukturen des Faschismus sieht. Ein definiertes Ziel der westdeutschen Studentenbewegung ist demzufolge, das gesamte gesellschaftspolitische System zu verändern und vermutete ehemalige Nazi-Funktionäre auszutauschen. Das betrifft auch die Universitäten.

68er Jahre Studentenbewegung will neue Gesellschaftswerte

Die Studenten-Parole „Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren“ bezieht sich auf eine mögliche „braune“ Vergangenheit im Nazi-Regime von lehrenden Professoren. Die Aufarbeitung der Vergangenheit an den Universitäten wird gefordert. Gleichzeitig werden vorhandene gesellschaftliche Werte wie Familie, Elternhaus, Autorität in Unis und Schulen oder die Geschlechterrolle in Frage gestellt. Die Studentenbewegung der 68er Jahre fordert eine gesamtgesellschaftliche Veränderung.

West-Berlin mit Kommune 1

Das Leben in Kommunen inklusive der Aufhebung von Paarbeziehungen gehört  in einigen Gedankenmodellen dazu – unter anderem von Dieter Kunzelmann. Der linke Politaktivist begründet zusammen mit Fritz Teufel die bekannte Kommune 1 in West-Berlin im Jahr 1967 mit. Die politische motivierte Grundidee hinter der Kommune als Gegenpol zu bestehenden gesellschaftlichen Strukturen in Westdeutschland:

  • Die Kleinfamilie ist die Keimzelle des Faschismus. Aus der dort bestehenden Unterdrückung entwickeln sich weitere Institutionen des Faschismus.
  • Die Abhängigkeit von Mann und Frau hindert sie daran, sich zu wirklich freien Menschen zu entwickeln.
  • Die Auflösung der Kleinfamilie als Struktur ist die Lösung des gesamtgesellschaftlichen Problems.

Rudi und Gretchen Dutschke lehnen Kommune 1 ab

Rudi Dutschke und Gretchen Klotz hatten jedoch im März 1966 geheiratet. Sie sprechen sich für politische Lebens- und Arbeitsgemeinschaften aus, lehnen aber das Konzept der Kommune 1 als „bürgerliches Tauschprinzip unter pseudorevolutionären Vorzeichen“ ab. Da der Kommunen-Gedanke gemeinschaftlich aus der zuvor gegründeten Außerparlamentarischen Opposition (APO) hervorgegangen war, zeichnet sich ein deutlicher Bruch ab.

Gretchen und Rudi Dutschke
Rudi Dutschke mit seiner Ehefrau Gretchen Dutschke am 12. Dezember 1970
© mauritius images / Keystone Press / Alamy

Die APO hatte bis dahin verschiedene linke Ideengeber und Aktivisten in sich vereint. Sie wurde Ende 1966 unter anderem als gesellschaftliches Gegengewicht zur ersten bundesdeutschen Großen Koalition gegründet. Studenten und Intelektuelle sahen in der Koalition aus SPD und CDU eine Gefahr für die Demokratie. Ihre Begründung:

  • SPD und CDU verfügen gemeinsam in der Regierung über 450 Stimmen
  • Die FDP als Opposition hat nur 49 Stimmen
  • Die Gefahr des Machtmissbrauchs durch die Bundesregierung

Rudi Dutschke kritisiert besonders die SPD und sieht deren Machtstreben in der Großen Koalition als demokratiegefährdend an. Zum Anwachsen der Studentenbewegung, der APO und der Demonstrationen tragen die Pläne der Großen Koalition für die Notstandsgesetze bei. Durch die Grundgesetzänderung sollen Bundes- oder Landesregierung das Recht für Notverordnungen bekommen und Grundrechte außer Kraft setzen können – für den Fall eines Notstandes.

In der Bevölkerung sorgen die Pläne für Unbehagen. Die APO, Gewerkschaften, Kirchen, Wissenschaftler und Intelektuelle fühlen sich an die Weimarer Republik erinnert. Die dortige Verfassung hatte durch die Möglichkeit der Notstandsverordnungen im Jahr 1933 die „Reichstagsbrandverordnung“ von Reichstagspräsident Paul von Hindenburg möglich gemacht. Der Erlass dieser Verordnung gilt als eine der Grundlagen für den Beginn der nationalsozialistischen Diktatur und der Verfolgung politisch Andersdenkender.

Benno Ohnesorg wird erschossen

Die Proteste der Studentenbewegung bekommen einen weiteren Schub, als der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration erschossen wird – von einem Polizisten. Auf der Kundgebung gegen den Besuch des persischen Schahs Reza Pahlavi in West-Berlin wird der 26-Jährige am 2. Juni 1967 durch ein Pistolenschuss in den Hinterkopf tödlich verletzt. Der verantwortliche Polizist, Karl-Heinz Kurras, spricht von Notwehr und einem Querschläger.

Er wird wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Nach mehreren Verfahren wird er 1970 endgültig von dem Vorwurf freigesprochen. Rudi Dutschke fordert sofort nach dem Tod Ohnesorgs die Enteignung des Springerverlages, dem zu der Zeit rund 67 Prozent der führenden Medien in West-Berlin gehören. Hintergrund ist die aus seiner Sicht einseitige Berichterstattung zugunsten der Polizei. Er sieht die Meinungsmacht des Verlages als zu groß und politisch einseitig an.

Rudi Dutschke warnt vor „verselbständigtem Terror“

Seine Einstellung zum Kampf gegen den Imperialismus hat Rudi Dutschke während der Jahre der Studentenbewegung mehrfach deutlich gemacht. Dabei unterscheidet er zwischen verschiedenen Arten des Terrors. So bezeichnet Dutschke in seinem Vorwort zu Che Guevaras Schrift „Schaffen wir zwei, drei viele Vietnams“ den Hass auf jede Form von Unterdrückung als militanten Humanismus. Gleichzeitig warnt er aber auch vor „verselbständigtem Terror“ wie ihn die Rote Armee Fraktion praktiziert hat und lehnt ihn ab. Dutschke sieht die Aufgabe seines oppositionellen Stadtguerillas eher darin, die latente vorhandene Gewalt des kapitalistischen Staates durch direkte Aktionen erfahrbar und sichtbar zu machen.

Demonstrationen gegen Vietnamkrieg

Als Symbolfigur der Studentenproteste steht Rudi Dutschke Ende der 1960er-Jahre durch seine Aktionen und Reden zunehmend im Fokus der Öffentlichkeit. Er organisiert Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, fordert die Zerschlagung der NATO, plant die Besetzung einer US-amerikanischen Kaserne – lässt aber wegen der Androhung von Schusswaffengebrauch seitens der US-Army davon ab.

Bezeichnungen wie „Rädelsführer“, „Initiator der Krawalle“ oder „Sprecher des pekingfreundlichen SDS-Flügels“ erscheinen in führenden West-Berliner Medien. Die Stimmung gegenüber Rudi Dutschke ist aufgeheizt.

11. April 1968: Attentat mit drei Pistolenkugeln

Am Nachmittag des 11. April 1968 findet diese Spannung ihren tragischen Höhepunkt. Rudi Dutschke wird Opfer eines Anschlags. Der Hilfsarbeiter Josef Bachmann wartet am Berliner Kurfürstendamm vor dem SDS-Büro auf ihn. Mit den Worten „Du dreckiges Kommunistenschwein“ feuert er drei Pistolenschüsse auf sein Opfer ab.

Studentenprotest in Essen im April 1968
Der Mordanschlag auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 löste auch im Ruhrgebiet noch am gleichen Tag heftige Studentenproteste aus
© IMAGO / Klaus Rose

Rudi Dutschke erleidet schwere Hirnverletzungen, wird aber durch eine Notoperation gerettet. Bachmann wird wegen versuchten Mordes zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt und nimmt sich später in der Haft das Leben.

Sein Attentat auf Rudi Dutschke hatte offenbar einen rechtsextremistischen Hintergrund. Bei seiner Verhaftung direkt nach dem Anschlag hatte Bachmann einen Artikel der Deutschen National-Zeitung bei sich. Der Text mit fünf Fotos von Rudi Dutschke hatte die Überschrift: „Stoppt Dutschke jetzt. Sonst gibt es Bürgerkrieg!“ Josef Bachmann war mit seinen Eltern 1956 aus der DDR nach Westdeutschland übergesiedelt. Nach einer abgebrochenen Berufsausbildung verdiente er sein Geld als Hilfsarbeiter – zur Zeit des Anschlags in München. Für das Attentat fuhr er mit dem Zug nach West-Berln.

Rudi Dutschke stirbt an Spätfolgen des Attentats

Durch den Anschlag hat Rudi Dutschke massive Sprach- und Gedächtnisstörungen. In monatelanger Rehabilitation lernt er wieder zu sprechen und sich zu erinnern. Nach Zwischenaufenthalten in Großbritannien und Dänemark promoviert er 1973 an der FU in Berlin im Fach Soziologie. Er engagiert sich in der Anti-Atomkraft-Bewegung und politisch bei den Grünen. Am 24. Dezember 1979 stirbt Rudi Dutschke überraschend. Er hat einen epileptischen Anfall in der Badewanne – eine Spätfolge des Anschlages durch Josef Bachmann.

Kochstraße wird trotz Klagen umbenannt

An Rudi Dutschke erinnert heute in Berlin unter anderem ein Straßenname. Nach jahrelangen Diskussionen wurde im April 2008 ein Teil der Kochstraße im Ortsteil Kreuzberg in Rudi-Dutschke-Straße umbenannt. Gegen die Umbenennung  hatten unter anderem verschiedene Anwohner und der Axel-Springer-Verlag geklagt. Er hat in der Kochstraße seit 1965 sein Verlagsgebäude.

Nachrichtenquelle: geo.de

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