Tulpenmanie: Wie die Gier nach Tulpen zur weltersten Spekulationsblase führte

In den 1630er Jahren kaufen und verkaufen zahlreiche Niederländer Tulpenzwiebeln. Die Preise steigen in abenteuerliche Höhen; es ist die welterste Spekulationsblase. Anfang Februar 1637 zerplatzt sie

Wenn Wouter Bartholomeusz Winkel etwas in seiner Todesstunde getröstet haben mag, dann die Gewissheit, dass für seine sieben Kinder gesorgt sein würde. Sie hatten zwar schon ihre Mutter verloren und würden nun in einem Waisenhaus aufwachsen. Sein Vermögen würde ihnen dennoch eine auskömmliche Zukunft sichern.

101 – GEO EPOCHE Nr. 101-2020 – Das goldene Zeitalter der Niederlande

Es ist kalt an diesem 5. Februar 1637, als sich Kaufleute aus der ganzen Provinz Holland, etwas mehr als ein halbes Jahr nach Wouter Winkels Tod, im prächtigen Giebelbau der Alkmaarer Hauptwache versammeln. In der Nähe, im Zentrum der kleinen, nahe der Küste gelegenen Stadt, steht jenes Gasthaus, das Winkel bis zu seinem Tod geführt hat: die „Alte Stadtwache“.

Tulpenzwiebel als außergewöhnliches Auktionsgut

Die fremden Herren sind angereist, um an einer außergewöhnlichen Auktion teilzunehmen, zu der die Vorsteher des städtischen Waisenhauses eingeladen haben: An diesem Tag soll der wichtigste Besitz von Wouter Winkel zugunsten seiner Kinder, die in diesem Heim seit seinem Tod leben, versteigert werden. Doch die Kaufleute sind nicht gekommen, um etwa kostbares Mobiliar zu erwerben – angeboten werden an diesem Tag Blumenzwiebeln.

Denn Winkel hat neben seiner Tätigkeit als Schankwirt Tulpen gezüchtet und mit ihnen gehandelt. Bei seinem Tod im Frühsommer 1636 hat er eine Sammlung von außergewöhnlicher Qualität hinterlassen, darunter mehr als 70 Tulpensorten, die zu den begehrtesten der Niederlande gehören.

Der Zeitpunkt der Auktion ist gut gewählt. In den Monaten seit Winkels Tod sind die Preise für die Blume stetig gestiegen, zuletzt sogar dramatisch. Ein Pfund Zwiebeln der beliebten Sorte „Switser“ erzielte Ende Dezember 1636 rund 125 Gulden. Nur wenige Wochen später, am 3. Februar, zwei Tage vor der Versteigerung, hat sich der Preis verzwölffacht – auf 1500 Gulden.

Niederländer bezahlen Höchstpreise für Tulpen

1500 Gulden – dafür arbeitet ein Handwerksmeister in Alkmaar viereinhalb Jahre lang. Für die Summe kann man zu dieser Zeit fast 170 Fässer Bordeaux-Wein erwerben. Oder gut 8400 Pfund Fleisch. Oder ein Haus in Haarlem, der drittgrößten Stadt Hollands. Und nichts spricht dagegen, dass die Preise für Tulpen noch weiter steigen werden. Dass die sonst als so fromm, achtbar und sparsam geltenden Niederländer weiterhin Höchstpreise bezahlen, aus Leidenschaft für eine Blume. Die ganze Provinz, so scheint es, ist im Tulpenfieber.

Eine Krankheit sei ausgebrochen, schreibt der Haarlemer Geistliche Jodocus Cats in einem Brief. Eine Geisteskrankheit. Niemals zuvor habe die Welt einen solchen Wahnsinn erlebt.

Pamphlete und satirische Flugschriften zeichnen das Bild einer Gesellschaft im Taumel, in einer gierigen Raserei. Sie werfen den Blumenbegeisterten vor, die falsche Gottheit anzubeten, Flora, die heidnische Göttin der Blüte. Weber würden ihre Webstühle beleihen, heißt es, Bauern gäben Kühe als Anzahlung, um am großen Geschäft teilzuhaben. Schornsteinfeger, Studenten, „Fromme und Gottlose, Diebe und Huren, Haarlemer und Amsterdamer“, so eine zeitgenössische Schrift, seien dem Tulpenhandel verfallen.

Und das alles wegen einer zarten Blume, die kaum mehr als zwei Wochen im Jahr blüht. Und die wenige Jahrzehnte zuvor in den Niederlanden gänzlich unbekannt war. Ursprünglich wuchsen die meist roten Wildtulpen in den Steppen und Hochtälern Zentralasiens. Im 11. Jahrhundert kannte man sie bereits in Persien. Als die Osmanen im Jahr 1453 Konstantinopel, die Metropole des Byzantinischen Reichs, eroberten und zu ihrer Hauptstadt machten, ließ Sultan Mehmed II. dort unzäh­lige Gärten mit verschwenderischer Blütenpracht anlegen.

Tulpe gelange wohl Mitte des 16. Jahrhunderts nach Europa

Mehmeds Nachfolger teilten seine Leidenschaft. Und schon bald lernten auch Reisende und Botschafter aus Europa die Tulpen Konstantinopels kennen, darunter erstmals einige gezüchtete – filigrane Gewächse, deren dolchförmige Blüten­blätter spitz zuliefen und rotbraun oder schwefelgelb leuchteten.

Nach Europa gelangte die Tulpe wohl Mitte des 16. Jahrhunderts. 1559 jedenfalls blühte erstmals ein rotes Exemplar im Garten eines Augsburger Ratsherrn. 13 Jahre später trieben in Wien die ersten Zwiebeln aus.

Wann die Schöne aus dem Morgenland die Niederlande erreichte, ist nicht gewiss; wohl spätestens 1578. Auf jeden Fall war sie dort bereits bekannt, als Carolus Clusius, der berühmteste Botaniker seiner Zeit, am 19. Oktober 1592 in Leiden eintraf, um für die dortige Universität einen Lehrgarten anzulegen: Im Gepäck ­hatte er eine wertvolle Tulpensammlung.

Seit der Humanismus von Italien aus den Kontinent erfasst und das Ideal des umfassend gebildeten und vielseitig interessierten Menschen hervorgebracht hatte, wendeten sich immer mehr Gelehrte dem Studium der Pflanzenwelt zu – in der Hoffnung, neue Medikamente zu entwickeln.

Clusius interessierte sich nicht nur für die Heilkraft von Pflanzen, sondern bewunderte auch ihre Schönheit. Aufgewachsen in Flandern, war er die meiste Zeit seines Lebens durch Europa gereist, um seltene Flora zu studieren. 1573 hatte man ihn nach Wien berufen, wo er für Kaiser Maximilian II. einen botanischen Garten anlegte. Zu dieser Zeit, das zeigen seine Briefe, besaß Clusius bereits Tulpenzwiebeln.

Der Botaniker war der Mittelpunkt einer weitverzweigten Gemeinschaft von Forschern, Pflanzenliebhabern und Sammlern. Sie besuchten einander in ihren Gärten, tauschten in Briefen ihr Wissen aus, sandten einander Samen und Zwiebeln – und teilten die Leidenschaft für allerlei exotische Raritäten, die seit dem 16. Jahrhundert nach Europa gelangten.

Voller Ungeduld erwarteten Clusius und seine Freunde die Rückkehr der ­Schiffe aus Übersee, die in den Häfen von Amsterdam, Hoorn oder Enkhuizen anlegten. Denn vielleicht hatten sie neben Gewürzen und Seide nie gesehene Sensationen an Bord: filigrane Muscheln, seltene Mineralien, merkwürdige Tiere wie etwa ein Chamäleon – und Pflanzen wie Tomaten und Kartoffeln aus Amerika. Auch eine Vielzahl unbekannter Blumen traf nun in den nordeuropäischen Häfen ein. Ab etwa 1550 wurden die Anemone, die Iris, die Narzisse, der Krokus eingeführt.

Virus löste die verwirrend neue Farbenpracht aus

Doch es war die Tulpe, die bei den Männern um Carolus Clusius eine besondere Leidenschaft weckte. Denn ihre leuchtende Farbenpracht war von überwäl­tigender Schönheit. Und sie offenbarte eine schier unglaubliche Wandelbarkeit und Vielfalt: Immer wieder wechselte die Tulpe ihre Farben.

Ein Exemplar, das im einen Jahr noch einfarbig geblüht hatte, konnte im nächsten weiß und tiefrot geflammt austreiben. Aus der Zwiebel einer schlichten weißen Pflanze entwickelte sich zuweilen eine Tulpe, deren Blütenblätter in kontrastierenden Farben gestreift waren.

Was kein Zeitgenosse ahnte: Ein Virus löste die verwirrend neue Farbenpracht, die anmutigen Flammen, Streifen und Federn aus.

Von Beginn an werden Tulpenzwiebeln in den Niederlanden nicht nur gesammelt und getauscht, sondern auch verkauft. Bloemisten nennen sich die Händler, die meist als Kaufleute Geschäfte mit unterschiedlichsten Waren machen, mal mit Getreide, mal mit Wein, Salpeter oder Seide. In Haarlem, einem Zentrum des Textilgewerbes, lassen sich die Zwiebeln auch bei Rechtsanwälten, Ärzten und erfolgreichen Handwerkern erwerben.

Klein und übersichtlich ist die Gruppe der zumeist holländischen Liebhaber, stolze Stadtbewohner der wohlhabendsten Provinz der Republik; eine Gemeinschaft im ständigen Gespräch. Sie tauscht sich etwa an den Docks von Amsterdam aus, wenn die Schiffe mit neuer Ware anlegen. Oder kommt zusammen an der 1611 eröffneten Börse: In dem eleganten Bauwerk in der Stadtmitte werden mehr als 300 unterschiedliche Warentypen gehandelt, von Metallen über Holz bis zu fran­zö­sischem Weinbrand.

Reiche Bürger in Amsterdam pflanzen geometrische Gärten

Als in Amsterdam ab 1613 am großen Grachtengürtel gearbeitet wird, um die Stadt zu erweitern, entstehen an den drei großen neuen Kanälen, der Herengracht, Keizersgracht und Prinsengracht, elegante Häuser mit weitläufigen Gartenanlagen auf der Rückseite. Andere Bürger lassen sich von Gärten umgebene Landhäuser außerhalb der Stadt errichten.

Die Gärten sind streng geometrisch angelegt und spärlich bepflanzt. Wie ein Bilderrahmen umgeben Flächen blanker Erde jede Tulpe, als sei sie ein Kunstwerk. Und ihre Farbenpracht wird auch in Kunstwerken gefeiert: Wieder und wieder rücken niederländische Maler die Blume auf Stillleben ins Zentrum der Komposition.

Manche Sammler beauftragen eigens Künstler, Bilder ihrer erlesenen Tulpen zu fertigen; als wären sie Persönlichkeiten, porträtieren Maler die Blumen, jede für sich allein, vor hellem Hintergrund. Wenn sie längst verblüht sind, kann sich ihr Besitzer noch immer an ihrer Schönheit erfreuen.

Die Liebhaber gieren nach immer spektakuläreren Blütenmustern, immer kunstvolleren Zeichnungen, doch die Zucht unterschiedlicher Sorten ist komplex. Sieben bis zehn Jahre dauert es, um aus einem Samen eine blühende Zwiebel zu ziehen. Hat eine Tulpe einmal geblüht, kann sie sogenannte „Brutzwiebeln“ bilden, die wiederum ein bis drei Jahre brauchen, bis sie eine Blüte hervorbringen.

Die Geschäftssaison für Tulpen hingegen ist kurz. Sie blühen im Frühjahr und dann auch nur für wenige Tage, in denen sich Liebhaber und Bloemisten in den Gärten treffen, um sie zu begutachten. Hat ein Exemplar geblüht, muss die Zwiebel aus der Erde geholt werden, damit sie keinen Schaden nimmt. Jetzt ist der Zeitpunkt, zu dem sie verkauft werden kann: Getrocknet und in Papier gewickelt, wird sie bis September oder Oktober aufbewahrt und dann wieder eingepflanzt.

Zu Verkäufen kommt es häufig in Gaststätten – den Börsen der Bloemisten. Wer Neuigkeiten über den Tulpenhandel erfahren will, begibt sich in eines der einschlägig bekannten Schankhäuser. Etwa um zu hören, in wessen Garten sich eine Tulpe spektakulär verändert hat. Oder welche Sorte aus der Mode zu kommen droht und bald wertlos sein wird. Oder welche besonders begehrte Art zu welchem Preis verkauft worden ist.

1400 Gulden kosten die Zwiebeln der beliebten Sorte „Switser“

Über die Geschäfte wachen Kollegien versierter Tulpenkenner. Sie schaffen Regeln für den Handel und lassen jeden Verkauf in den Tavernen schriftlich festhalten; sie schlichten Streit und erstellen Kriterien, nach denen sich der Wert einer Tulpe bemessen lässt.

So wird, um das Geschäft gerechter zu machen, ab 1635 auch das Gewicht einer Zwiebel beim Kaufpreis berücksichtigt. Denn: Je schwerer eine Zwiebel ist, desto wahrscheinlicher bildet sie Brutzwiebeln, die dann ebenfalls verkauft werden können.

Mitte der 1630er Jahre stoßen immer mehr Menschen zum Kreis der Blumenliebhaber – darunter auch Geschäftsleute, die die Pflanze nicht wegen ihrer Schönheit schätzen, sondern weil sich mit ihr Geld verdienen lässt.

Manche Liebhaber verlegen sich jetzt auf die professionelle Blumenzucht. In dieser Zeit beginnen die Preise für einige Sorten deutlich zu steigen. Schnell ­wechseln die Moden nun; so verlangen Kunden nach immer erleseneren, selteneren Variationen, nach noch nie gesehenen Novitäten.

Manche Exemplare wechseln in kurzer Zeit mehrmals den Besitzer. Im Winter 1636/37 klettern die Preise für manche Sorten in schwindelnde Höhen, verdoppeln, verdreifachen, verzwölffachen sich. Der Wert einer „Generalissimo“, die einmal für 95 Gulden gehandelt wurde, steigt auf 900 Gulden. Für eine „Gheel en Root van Leyde“ müssen Liebhaber statt 45 Gulden nun 550 Gulden bezahlen. Und eine begehrte „Gouda“, deren weiße Blüten von roten Flammen überzogen sind und für die zu Beginn des Booms bereits 100 Gulden zu zahlen waren, kostet nun 750 Gulden. Längst sind Zwiebeln Sammlerstücke einer städtischen Elite, die mit der florierenden Wirtschaft zu Einfluss und Wohlstand gekommen ist. Und die mit dem Besitz von Tulpen nicht nur ihren erlesenen Geschmack, sondern auch ihren gesellschaftlichen Erfolg demonstriert. Und weshalb sollten die Preise nicht noch weiter steigen?

Am 1. Februar 1637 lädt der Haarlemer Geschäftsmann Pieter Wynants Verwandte in sein Haus. Das Thema bei Tisch: Tulpen. Während des Essens bietet ein Gast einer Witwe namens Geertruyt Schoudt für 1400 Gulden Zwiebeln der beliebten Sorte „Switser“ an, die sich wegen ihrer rot und gelb gestreiften Blüten seit Kurzem größter Beliebtheit und Nachfrage erfreut.

Erst zögert die Witwe, dann willigt sie ein: Ein anderer Gast versichert ihr, sie werde die Zwiebeln zu einem späteren Zeitpunkt zu einem sehr viel höheren Preis verkaufen können.

Arbeiter legen im Frühling Blumenbeete an.
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Vier Tage später kommt es in der Hauptwache von Alkmaar zur Versteigerung von Wouter Bartholomeusz Winkels Tulpen. Die Auktion ist zuvor in mehreren Städten angekündigt worden, um möglichst viele Käufer auf das Ereignis aufmerksam zu machen. Doch da die Tulpenzwiebeln in Winkels Garten eingegraben sind, kann niemand sie begutachten oder gar ein Exemplar mitnehmen. Sie werden bis zum kommenden Sommer in der Erde bleiben. Und dann erst übergeben und bezahlt.

Diese Form des Handels – ein Termingeschäft, bei dem ein Käufer verspricht, an einem festgelegten Tag in der Zukunft einen vorher bestimmten Preis für eine Ware zu bezahlen – ist nicht neu in Holland. Der Getreidehandel mit dem Baltikum wird seit etwa 1550 so geführt. Auch Waren wie Heringe oder Gewürze sind bereits verkauft, noch ehe sie die Niederlande erreichen.

Obwohl diese Geschäfte üblich sind, gelten sie nicht als ehrliche Arbeit, sondern als Spekulation, als Glücksspiel. Da während des Abschlusses weder Geld noch Ware ausgetauscht werden, zählt für die Beteiligten vor allem eines: dass Käufer und Verkäufer einander trauen können. Und einander Sicherheiten bieten.

Seriosität ist in den Niederlanden, die dank der Risikobereitschaft ihrer Kaufleute zur erfolgreichsten Wirtschaftsmacht Europas aufgestiegen sind, eine der wichtigsten Voraussetzungen für gelungene Geschäfte.

Das gilt besonders für den Tulpenhandel: Denn niemand kann vorhersagen, ob eine teuer verkaufte Zwiebel auch tatsächlich wie versprochen blühen wird; die Zwiebeln könnten zudem krank oder beschädigt sein. Käufer und Verkäufer sichern sich daher auf vielfältige Weise ab. Verträge, oft von einem Notar aufgesetzt, besiegeln das Geschäft. Zeugen bürgen für die Ehrenhaftigkeit der Partner. Oder Schiedsleute werden eingeschaltet, um einen fairen Preis auszuhandeln.

Als die Auktion am 5. Februar 1637 in Alkmaar eröffnet wird, folgt Gebot auf Gebot. Und einige Tulpen erzielen nie gekannte Höchstpreise. Eine violett ge­flammte „Viceroy“ erhält den Zuschlag für 4203 Gulden, eine „Admirael van Enchuysen“ mit einer Brutzwiebel für 5200 Gulden. Insgesamt kommen fast 70000 Gulden zusammen. Ein gewaltiger Gewinn.

Allerdings steht der bislang nur auf dem Papier.

Käufer misstrauen den hohen Tulpenpreisen inzwischen

Die erzielten Preise sind so außergewöhnlich, dass sie auf einem Flugblatt veröffentlicht werden. Doch kurz darauf beginnen die Preise zu fallen. Nicht überall sofort, aber nach und nach in allen Zentren des Tulpenhandels. Während in einer Stadt noch rege gehandelt wird, kommt das Geschäft in der anderen zum Erliegen. Am 7. Februar scheint der Markt in Amsterdam einzubrechen.

Bis heute ist der Grund dafür rätselhaft. Auf jeden Fall misstrauen die Käufer den hohen Preisen inzwischen, und als sich nun noch die Nachricht verbreitet, dass wenige Tage zuvor bei einer Auktion in Haarlem eine Zwiebel keinen Käufer gefunden hat, wird aus Zweifel – Panik.

Viele Käufer erklären nun, die Zwiebeln, die sie in den Wintermonaten zu Höchstpreisen erworben haben, weder entgegennehmen noch bezahlen zu wollen. Zu ihnen gehört auch die Witwe Geertruyt Schoudt, die sich nur ein paar Tage zuvor beim Abendessen im Hause Wynants hatte ermuntern lassen, in Zwiebeln zu investieren.

Auch die Vorsteher des Waisenhauses in Alkmaar müssen erkennen, dass ­Wouter Winkels Kinder die 70000 Gulden aus der Auktion möglicherweise niemals erhalten werden.

Die gewaltige Menge gebrochener Verträge erschüttert die Bloemisten; ebenso packt sie die Angst, dass die Vertragsbrüche folgenlos bleiben. Erst ein knappes Jahr nach dem Crash, Ende Januar 1638, beschließen die Bürgermeister von Haarlem, eine Kommission einzusetzen, die zwischen Verkäufern und Käufern vermitteln soll.

Am 28. Mai verkünden sie, dass nicht erfüllte Verträge gegen eine Entschädigung in Höhe von 3,5 bis fünf Prozent des Kaufpreises annulliert werden können. Der Verkäufer behält seine Zwiebeln, die an Wert verloren haben. Und die bescheidene Kompensation.

Tulpenkrise gilt die bis heute als Lehrstück

Die Verluste mögen für viele schmerzlich sein, sie treiben dennoch wohl nur wenige Bloemisten in den Ruin. Etliche Beteiligte sind wohlhabende Kaufleute, die bei anderen Geschäften viel höhere Summen einsetzen.

Dennoch erschüttert der Zusammenbruch des Tulpenmarktes die Gesellschaft. Denn er offenbart, wie brüchig die Beziehungen zwischen Geschäftspartnern sind. Wem kann man noch trauen, wenn Versprechen gebrochen werden? Wenn ein Ehren­mann sich nicht wie ein solcher verhält?

Die Tulpenmanie, der Zusammenbruch des Marktes: die Zeitgenossen sehen darin eine Warnung. Ein Lehrstück über die Falschheit und Vergänglichkeit irdischer Güter. Und eine Frage nach wirklichen Werten. Wie kann es sein, dass eine einfache Tulpe wertvoller ist als Gold?

Als Lehrstück gilt die Tulpenkrise bis heute. Wieder und wieder führen Ökonomen sie an, um von einem irrationalen und verrückten Handel zu erzählen. Professoren unterrichten Studenten am Beispiel der Tulpe über spekulative Wagnisse. In Zeitungsbeiträgen wird der Tulpencrash als erste Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte bezeichnet, er wird als Blaupause für überhitzte Märkte der Gegenwart hervorgeholt oder für einen entfesselten Kapitalismus.

Und die Tulpe? Auch in den Jahren nach dem Zusammenbruch des Handels werden Exemplare gekauft und verkauft, manche zu hohen Preisen. Doch als Spekulationsobjekt ist sie nicht mehr gefragt. Stattdessen wird die Blume zum Exportgut – und kehrt zurück in den Osten: Im 18. Jahrhundert verschiffen die Gärtne­reien von Haarlem Zehntausende Zwiebeln an den osmanischen Hof in Istanbul.

Nachrichtenquelle: geo.de

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