Top-Virologe Florian Krammer: "Ich glaube, dass ein Corona-Impfstoff als Nasenspray kommen wird"

Florian Krammer ist einer der Top-Virologen weltweit. Er geht davon aus, dass in den nächsten Jahren universelle Impfstoffe zur Verfügung stehen, die vor allen Grippeviren gleichzeitig schützen – und die auch den neuen Corona-Mutationen ihren Schrecken nehmen könnten

GEO WISSEN: Herr Krammer, was ist der Vorteil der neuartigen mRNA-Impfstoffe, wie sie von Moderna und Biontech/Pfizer gegen SARS-CoV-2 produziert werden?

Florian Krammer: Vor allem die ungeheure Schnelligkeit, mit der sie entwickelt worden sind. Das wäre mit anderen Arten von Impfstoffen nicht möglich gewesen. Am 10. Januar 2020 wurde die genetische Sequenz des SARS-CoV-2 entschlüsselt – und keine zehn Wochen später, am 16. März, wurde schon der erste Mensch in einer Phase-1-Studie mit einem mRNA-Impfstoff geimpft.

Gibt es weitere Vorteile?

Die mRNA-Vakzine regen in unseren Zellen die Bildung eines Corona-charakteristischen Eiweißes an, gegen das der Körper dann Antikörper bildet. Zusätzlich lösen die Impfstoffe eine starke Antwort unserer T-Zellen aus, die sich ebenfalls gegen den Erreger richten. Das Immunsystem reagiert also auf zweierlei Weise. Die Vakzine lassen sich zudem recht schnell anpassen, wenn es zu Virus-Mutationen kommt, bei denen der ursprüngliche Impfstoff nicht mehr so gut wirkt. Außerdem gibt es nicht das Problem, dass Menschen eine gewisse Immunität gegen die zweite Impfung entwickeln.

Das kann bei sogenannten Vektor-Impfstoffen der Fall sein, die mit Viren als Transportmittel arbeiten. Bei denen bewirkt womöglich die Zweitimpfung nicht mehr so viel.

GEO Wissen Gesundheit Nr. 16 2021

Wo es Vorteile gibt, gibt es vermutlich auch Nachteile.

Die Impfstoffe müssen stabil bleiben, damit sie wirken können – das erreicht man mit Kälte. Der Moderna-Impfstoff muss bei minus 20 Grad Celsius gelagert werden, der von Biontech/Pfizer bei minus 60 bis minus 80 Grad. Das kann in Ländern ohne gutes Gesundheitssystem ein Problem sein. Künftig werden wir uns aber nach und nach an höhere Temperaturen herantasten. Es braucht allerdings Zeit, um herauszufinden, inwiefern verschiedene Zusatzstoffe – beispielsweise Zucker – dies ermöglichen.

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass mRNA-Impfstoffe in näherer Zukunft sogar bei vier Grad plus gelagert werden können.

Wie steht es um die Sicherheit von mRNA-Impfstoffen?

Grundsätzlich sind sie sehr sicher, allergische Reaktionen treten nur extrem selten auf. Ein gewisses Problem ist derzeit noch, dass bei jüngeren Menschen die grippeähnlichen Impfsymptome mitunter heftig sein können, insbesondere nach der Zweitimpfung. Denn die Immunantwort fällt umso stärker aus, je jünger der Geimpfte ist. Bislang ist daher noch unklar, ob mRNA-Impfstoffe bei Kindern überhaupt verwendet werden sollten. Moderna hat derzeit Studien laufen, die klären sollen, ob auch Kinder bis hinunter zum Alter von zwölf Jahren geimpft werden können. Da steht ein Ergebnis aber noch aus.

Werden künftig noch mehr Corona-Impfstoffe auf der mRNA-Technik basieren?

Nicht zwangsläufig. Wir haben damit zwar sehr gute Erfahrungen gemacht, aber das gilt auch für Impfstoffe, bei denen Teile des Virus gespritzt werden, etwa den von Novavax. Auch da sind die Daten gut, was etwa die Wirksamkeit betrifft.

Könnte es mithilfe der mRNA-Technik auch Vakzine gegen Krankheiten geben, gegen die es keine Impfung gibt, wie Malaria oder HIV?

Die Technik kann tatsächlich hilfreich sein. Aber gegen beide Krankheiten sind Impfstoffe grundsätzlich schwer zu entwickeln. Bei HIV lässt sich schon heute ein Impfstoff konzipieren, der eine Immunantwort hervorruft. Aber das Virus entkommt dem rasch, weil es sich im Körper sehr schnell verändert.

Auch bei Malaria entzieht sich der Erreger immer wieder dem Immunsystem, er durchläuft mehrere Entwicklungsstadien und kann sich quasi verstecken. Moderna ist zumindest kürzlich mit einem mRNA-Impfstoff in Phase 2 gegangen, der gegen das Zytomegalie-Virus schützt, das zum Beispiel während einer Schwangerschaft das ungeborene Kind schwer schädigen kann. Und Curevac hat einen mRNA-Impfstoff gegen Tollwut in der klinischen Prüfung.

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Impfskeptiker haben oftmals Vorbehalte gegen die Wirkverstärker in den üblichen Impfstoffen gegen Kinderkrankheiten. Könnte es demnächst mRNA-Impfstoffe geben, die ja keine Wirkverstärker benötigen?

Theoretisch ja, aber die alten Impfstoffe sind sehr gut und bewährt. Bei den heutigen Impfstoffen haben wir seit Jahrzehnten Daten zur Sicherheit und Effizienz. Bei einem neuen mRNA-Impfstoff, der vermutlich nicht besser wirkt und noch dazu wahrscheinlich teurer wäre, hat man diese Daten noch nicht. Was auch dagegen spricht: Ein neuartiger Masern-Impfstoff zum Beispiel müsste alle drei Phasen der Zulassung durchlaufen. In Phase 3 bekommt man aber nur Ergebnisse, wenn viele Geimpfte mit vielen Nichtgeimpften verglichen werden – und man feststellen kann, in welcher Gruppe sich mehr Menschen infiziert haben. Mit Masern infiziert sich heute aber kaum noch jemand, das heißt, man bekommt womöglich nicht genügend Daten.

Nun ist die mRNA-Technik noch sehr neu, und Neues ruft oftmals Ängste hervor. Corona-Leugner behaupten beispielsweise, die mRNA-Impfstoffe könnten unser Genom verändern.

Wir Menschen sind voll von mRNA, jede Zelle enthält ganz viel davon. Überall werden durch die mRNA Informationen aus den Zellkernen zu den Ribosomen übertragen, um dort die Herstellung von Proteinen anzustoßen. Beim Impfstoff ist es so, dass die darin verpackte mRNA in die Zelle aufgenommen wird, woraufhin die Ribosomen das Virus-Antigen herstellen, das unsere Immunreaktion auslöst. Das geschieht lokal in den Muskelzellen des Oberarms beziehungsweise in Antigen-präsentierenden Zellen. Wenn sie das Genom verändern könnte, müsste die mRNA irgendwie in die Eizellen oder Spermien wandern – und dann dort auch noch in den Zellkern und in DNA umgeschrieben werden.

Das ist nicht vorstellbar.

Die Entwicklung der mRNA-Imfstoffe ging geradezu rasant vonstatten. Gab es Kompromisse bezüglich der Sicherheit?

Für die Schnelligkeit gab es gute Gründe: Das Genom des Virus war bekannt, es war auch bekannt – von SARS-CoV-1 und MERS-CoV – wie Coronavirus-Impfstoffe designt werden müssen. Und es wurde sehr viel Geld in die Impfstoffentwicklung gepumpt. Daher konnte man mit der Phase 3 schon starten, nachdem erste Sicherheitsdaten aus Phase 2 recht schnell positiv ausfielen.

Normalerweise ist das für ein Unternehmen finanzieller Selbstmord, denn wenn sich später herausstellen sollte, dass der Impfstoff nicht funktioniert, hätte man mit Phase 3 womöglich eine halbe Milliarde Dollar in den Sand gesetzt. Diese vorzuziehen war möglich, weil es im Prinzip unbeschränkte Ressourcen gab, auch durch öffentliche Förderung.

Die Zulassung kam dann aber auch enorm schnell.

Eine Phase 3 dauert normalerweise zwei bis drei Jahre. Wenn es schwere Nebenwirkungen gibt, treten die jedoch rasch auf, also Tage bis Monate nach der Impfung. Das weiß man aus Erfahrung. Die US-Zulassungsbehörde FDA hat deswegen gesagt, wir schauen zwei Monate lang, ob etwas Schwerwiegendes auftritt, danach sind wir sicher. Und natürlich gab es auch sehr viele COVID-19- Fälle, wodurch man schnell Daten zur Effizienz der Impfung hatte. Hätte es weniger Fälle gegeben, hätte es länger gedauert bis zum Zulassungsantrag.

Eine absolute Sicherheit gibt es demnach nicht?

Die kann es auch nicht geben. Bei einem früheren Grippe-Impfstoff kam es – kurz nach der Impfung – bei etwa einer von 18 000 Impfungen bei Jugendlichen zu Narkolepsie, der „Schlafkrankheit“. Bei Grippe-Impfstoffen kommt es bei etwa einem von einer Million Impfungen zum Guillain-Barré-Syndrom, einer gefährlichen Nervenerkrankung. Häufig auftretende Probleme wären in den Phase-3-Studien aufgefallen, denn in den Studien von Moderna und Biontech/Pfizer wurden insgesamt rund 35 000 Menschen geimpft. Eine seltenere Nebenwirkung wäre wahrscheinlich nicht aufgefallen. Aber selbst wenn es zu extrem seltenen schweren Nebenwirkungen kommt, heißt das ja nicht, dass man den Impfstoff nicht verwenden sollte. Denn der Unterschied zwischen dem erheblichen Risiko einer Corona-Infektion und dem minimalen Risiko einer Impfung für den Einzelnen wäre so groß, dass die Empfehlung für solch eine Impfung eindeutig wäre.

Es wurden anfangs viele sehr alte Menschen geimpft – und manche starben kurz nach der Impfung. Gibt es da einen Zusammenhang?

Norwegen hat solche Fälle gemeldet, das wurde akribisch untersucht. Und festgestellt, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass die Menschen infolge der Impfung verstorben sind.

Nun könnte man sagen, wenn jemand sehr alt ist, vorerkrankt und gebrechlich, dann könnte es sein, dass eine Impfung eine Immunreaktion in Gang setzt, die fatal ist. Aber auch das ist sehr unwahrscheinlich, denn die Impfreaktion ist bei alten Menschen generell viel geringer als bei jungen Menschen, weil das Immunsystem Älterer nicht mehr so gut funktioniert.

Gegen Grippe gibt es bereits Impfstoffe, die nicht gespritzt, sondern als Nasenspray verabreicht werden. Ließe sich auch ein Corona-Impfstoff als Nasenspray entwickeln?

Daran wird geforscht, und ich glaube, dass so etwas kommen wird. Ein Nasenspray hätte den Vorteil, dass man als Geimpfter mit hoher Wahrscheinlichkeit das Corona-Virus nicht mehr übertragen kann. Weil der Impfstoff genau dort hingelangt, wo sich das Virus vermehrt, nämlich im Nasen-Rachen-Raum, und dort eine lokale Immunantwort aufbaut. Aber die Entwicklung ist recht kompliziert, weil im Rachenbereich schwer zu messen ist, wie stark die Immunantwort ausfällt. Außerdem gelangt das Nasenspray nah ans Gehirn, und da möchte man keine Nerven zerstören. Der Influenza-Nasenspray-Impfstoff ist aber sehr sicher, er funktioniert schon heute sehr gut und wird vor allem bei Kindern verwendet, sehr häufig in den USA, aber durchaus auch in Deutschland.

Sie forschen an einem Grippe-Vakzin, das gegen alle Influenza-Viren wirken soll. Das also nicht, wie bislang, jedes Jahr neu entwickelt werden muss. Wie steht es darum?

Wir haben bereits eine Phase-1-Studie abgeschlossen, der Impfstoff-Kandidat wurde also erstmals an einigen gesunden Freiwilligen hinsichtlich Wirkung und Verträglichkeit getestet. Das sieht recht vielversprechend aus. Aber die noch folgenden Studienphasen sind kompliziert. Ich denke, dass wir in fünf bis sechs Jahren Phase-3-Daten haben werden. Erst danach können wir an eine Zulassung denken.

Ist bislang niemand auf die Idee gekommen, einen solchen universellen Impfstoff zu entwickeln?

Die erste wissenschaftliche Arbeit stammt schon aus dem Jahr 1982. Es gab immer wieder Ideen, die Forschung ist aber nicht vorangekommen. Inzwischen wissen wir jedoch, dass es Antikörper gibt, die grundsätzlich alle Influenza-A-Stämme neutralisieren können, also jede Vogelgrippe und jede Schweinegrippe. Wir müssen das Immunsystem nun dazu bringen, dass es das auch tatsächlich tut. Darauf zielt unsere Entwicklung.

Wäre es auch möglich, einen universellen Impfstoff gegen Coronaviren zu entwickeln? Also einen, der zuverlässig gegen die schon bekannten Mutationen wirkt, und sogar gegen jene, die womöglich künftig erst auftreten?

Ich glaube, das dies tatsächlich möglich ist, allerdings nicht von heute auf morgen.

Es ließen sich eventuell recht schnell Impfstoffe gegen alle SARS-ähnlichen Viren entwickeln, die in Fledermäusen unterwegs sind, also auch gegen das SARS-CoV-1, dass 2003 erstmals in China auftrat und schwere Lungenkrankheiten auslöste.

Wir haben festgestellt, dass Menschen, die eine der mRNA-Impfungen gegen SARS-CoV-2 bekommen, auch einige Antikörper gegen SARS-CoV-1 von 2003 bilden. Insgesamt wissen wir allerdings noch viel zu wenig über die humanen und tierischen Coronaviren und die Immunantworten, die diese Viren auslösen, vor allem weil vor der Pandemie nur wenig Geld für die Forschung zur Verfügung stand. Da gibt es viel Aufholbedarf.

Sie selbst sind bereits gegen Corona geimpft. Hat sich das auf Ihren Alltag ausgewirkt?

Ich gehe wieder mit einem besseren Gefühl durch die Welt.

Real hat sich allerdings bislang nicht viel geändert, denn auch als Geimpfter trage ich eine Schutzmaske und halte mich an die Abstandsregeln. Eine Impfung bedeutet zwar, dass das Risiko einer Infektion deutlich reduziert ist, ein absoluter Schutz ist es jedoch nicht.

Hier in New York ist derzeit noch viel Virus unterwegs. Wenn ich also durch die Impfung eine 95-prozentige Risikoreduktion habe, aber ständig die U-Bahn nehme und auf Infizierte treffe, habe ich trotzdem noch ein Infektionsrisiko.

Das ist wie mit dem Sicherheitsgurt im Auto: Der rettet in ganz vielen Fällen Leben – aber wenn sie mit 200 Stundenkilometern gegen eine Wand fahren, hilft auch ein Gurt nicht.

Nachrichtenquelle: geo.de

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